Bei einer Mehrheit von Schädigern enthalten § 17 StVG wie auch § 254 BGB, die auf ein Zwei-Personen-Verhältnis zugeschnitten sind, keine Regelung. Es kommen verschiedene Lösungen in Betracht. Zum Ersten könnte man es bei der Einzelabwägung belassen, so dass der Geschädigte seinen Anspruch nach der für ihn günstigsten Einzelabwägung bemessen könnte, was für ihn im Ergebnis allerdings die schlechteste Lösung wäre. Zum Zweiten könnte man die Schädiger als Einheit ansehen und deren Verursachungs- und Verschuldensbeiträge in einer Gesamtschau dem Mitverschulden des Geschädigten gegenüberstellen, was für ihn am günstigsten wäre. Schließlich könnte man zum Dritten die Einzelbetrachtung mit einer Gesamtschau kombinieren, so dass der Geschädigte insgesamt so viel verlangen könnte wie bei einer Gesamtbetrachtung; von jedem Schädiger kann er aber nur den jeweils bei einer Einzelabwägung sich ergebenden Betrag beanspruchen.
Beispiel 1:
Mopedfahrer M fährt an einem geparkten Fahrzeug vorbei, dessen Fahrertür von dem Fahrzeughalter F sorgfaltswidrig geöffnet wird; dadurch muss M, der zu dicht an dem Fahrzeug vorbeifährt, auf die Fahrbahnmitte ausweichen, wo er von einem entgegenkommenden Pkw erfasst wird, weil der Pkw-Fahrer P unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot in der Nähe der Mittellinie gefahren ist. Der Einfachheit halber soll davon ausgegangen werden, dass der Mitverursachungsanteil jedes Beteiligten gleich schwer wiegt. Dann erhält M nach dem ersten Vorschlag nur 50 %, nach dem zweiten Vorschlag 66,66 % (seinem Schadensbeitrag steht ein zweimal so hoher Beitrag der Schädigerseite gegenüber) und nach dem dritten Vorschlag ebenfalls 66,66 %, wobei F und P aber nur höchstens bis zu 50 % zahlen müssen.
In Rechtsprechung und Literatur wird bei der Lösung dieses Problems danach differenziert, ob es sich bei den Schädigern um Mittäter, Anstifter und Gehilfen (Zurechnung der Tatbeiträge gem. § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB), um Alternativtäter (§ 830 Abs. 1 S. 2 BGB) oder um Nebentäter handelt. Bei der Haftungsabwägung im Rahmen eines Verkehrsunfalls werden mehrere Schädiger i.d.R. Nebentäter sein, so dass nur diese Konstellation näher interessiert. Für Nebentäter, die gem. § 840 BGB als Gesamtschuldner haften, gilt § 830 BGB nicht, weshalb eine Zurechnung der jeweiligen Verursachungsbeiträge nicht in Betracht kommt. Die Rechtsprechung folgt der vom BGH entwickelten modifizierten Kombinationstheorie entsprechend dem dritten Lösungsvorschlag. Danach haben die Schädiger insgesamt den Schadensanteil zu tragen, der bei einer Gesamtschau ihrem Anteil der Verantwortung entspricht; jeder Schädiger haftet aber nur in Höhe seiner Quote (BGHZ 30, 203, 207; BGHZ 61, 351, 354; BGH NJW 2011, 292). Der Gesamtschuldanteil der Schädiger bestimmt sich dabei nicht nach dem Gesamtschaden, sondern nach dem um den Mitverschuldensanteil des Geschädigten verminderten Schaden, während der Restbetrag auf jeden Schädiger entsprechend seinem Anteil zu verteilen ist (BGH NJW 2006, 896, 897; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 254 Rn 69).
Beispiel 2:
Beträgt der Gesamtschaden in o.g. Beispiel (1) 12.000 EUR, kann M insgesamt 8.000 EUR beanspruchen, und zwar 4.000 EUR von F und P als Gesamtschuldner sowie von jedem einzelnen Schädiger weitere 2.000 EUR. Zugleich steht damit der Innenausgleich zwischen den Schädigern F und P fest.
Für die Berechnung ist die von Sedemund (ZGS 2003, 337) entwickelte Formel hilfreich:
Gesamtschuld = |
Summe aller Einzelhaftungsbeträge – insgesamt ersatzfähiger Schaden |
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4.000 EUR = |
12.000 EUR – 8.000 EUR |
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Anzahl der Schädiger – 1 |
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2 – 1 |
Im obigen Beispiel sind die Summe aller Einzelhaftungsbeträge 12.000 EUR (2 × 6.000 EUR), der insgesamt ersatzfähige Schaden 8.000 EUR und die Anzahl der Schädiger 2, so dass sich für die Gesamtschuld 4.000 EUR (= [12.000 EUR – 8.000 EUR]/[2 – 1]) errechnet.
Keine Gesamtabwägung findet allerdings in zwei Fällen statt:
- Zum einen scheidet sie beim Schmerzensgeldanspruch aus, weil sich die von § 253 Abs. 2 BGB geforderte „billige Entschädigung“ jedem Schädiger gegenüber nach den besonderen Umständen des Falles bestimmt (BGHZ 54, 283, 286; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 281).
- Zum zweiten kommt eine Gesamtschau nicht in Betracht, wenn und soweit mehrere Schädiger eine sog. Zurechnungs- oder Haftungseinheit bilden. Dies ist u.a. der Fall, wenn die Verhaltensweisen mehrerer Schädiger zu demselben unfallverursachenden Umstand geführt haben, bevor der Verursachungsbeitrag des Geschädigten hinzugetreten ist (BGHZ 54, 283, 284; BGHZ 61, 231, 216; BGH NJW 2006, 896 f.). Relevant ist dies gerade bei einem Verkehrsunfall. Es kann für die Haftungsabwägung und die Höhe des Ersatzanspruchs des Geschädigten keinen Unterschied machen, ob z.B. nur eine Person oder vier Personen dafür verantwortlich waren, dass ein Anhänger nachts unbeleuchtet auf einer Bundesstraße stand, auf den der Geschädigte auffuhr. Haftungseinheit besteht daher z.B. zwischen Kfz-Halter und Fahrer sowie Versicherer (BGH NJW 2006, 896 f.), zwischen Kfz-H...