Im Folgenden wird auf das Verhältnis und auf die Abgrenzung zwischen § 114 und 113 StGB eingegangen, um letztendlich praktikable Ansätze unter Hinzuziehung der Auslegungen unter III. herauszuarbeiten.
1. Verhältnis zu § 113 StGB
Nachdem der bisherige Meinungsstand zur Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs i.S.d. § 114 StGB dargestellt wurde, wird nun auf das Verhältnis zu § 113 StGB eingegangen. Zuzustimmen ist der Auffassung, dass es sich bei § 114 StGB um keine Qualifikation zu § 113 StGB handelt (Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513). Denn im Gegensatz zu § 113 StGB setzt § 114 StGB nur eine Dienst- und keine Vollstreckungshandlung voraus (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 114, Rn 4). Somit kann § 113 StGB nicht Grundtatbestand sein (Busch/Singelnstein, a.a.O., 513).
Denkbar wäre es, dass § 113 StGB lex specialis zu § 114 StGB ist. Denn § 114 StGB setzt im Gegensatz zu § 113 StGB nur eine Diensthandlung, die über den Begriff einer Vollstreckungshandlung i.S.d. § 113 StGB hinaus geht, voraus (Fischer, a.a.O., § 114, Rn 4). Von der Diensthandlung sind auch solche Handlungen umfasst, die sich als "schlichte" Ausübung des Dienstes darstellen (z.B. Streifenfahrten, Befragungen von Straßenpassanten, Radarüberwachungen, Reifenkontrollen, Unfallaufnahmen, Beschuldigtenvernehmungen und sonstige Ermittlungstätigkeiten) und damit nicht von § 113 StGB erfasst sind und somit keine nach Anlass, Person oder Maßnahme konkretisierte Ausführungshandlung dienstlicher Pflichten enthalten oder beabsichtigen (Fischer, a.a.O., § 114, Rn 4; Schönke/Schröder/Eser, a.a.O., § 114, Rn 5; Schiemann, NJW 2017, 1846, 1847). Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich des § 114 StGB weitreichender ist als der Anwendungsbereich von § 113 StGB. Dementsprechend sollte eine Strafbarkeit nach § 113 StGB in der Tatvariante "Gewalt" immer dann gegenüber einer Strafbarkeit nach § 114 StGB vorrangig sein, wenn sich der Täter einer Vollstreckungshandlung gewaltsam erwehrt bzw. gegen diese Handlung Widerstand leistet. Gerade für diesen speziellen Fall wurde § 113 StGB kodifiziert. Für diese Sichtweise spricht im Übrigen, dass § 113 StGB im Gegensatz zu § 114 StGB, der die körperliche Unversehrtheit schützt, die Autorität konkreter Vollstreckungsakte schützen soll (Busch/Singelnstein, a.a.O., 510 f.). Damit wurde mit § 114 StGB eine strafschärfende Vorschrift für diejenigen Täter kodifiziert, die eine einfache Körperverletzung nach § 223 StGB zulasten eines Amtsträgers begehen (BT-Drucks 18/1161 vom 14.2.2017, S. 2). Dementsprechend beinhaltet § 114 StGB eine andere Schutzrichtung und folglich einen anderen Anwendungsbereich als § 113 StGB.
Dagegen kann jedoch angeführt werden, dass § 114 Abs. 3 StGB für den Fall, dass es sich bei der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung handelt, die Privilegierungs- und Irrtumsregelungen des § 113 StGB für anwendbar erklärt. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber tätliche Angriffe i.R.v. Vollstreckungshandlungen dem Anwendungsbereich des § 114 StGB unterfallen lassen wollte. Denn es wird auf den spezielleren Fall – Leistung von Widerstand gegen eine Vollstreckungshandlung gegenüber einem Amtsträger – verwiesen. Somit wurde § 114 StGB auch strafschärfend für denjenigen Täter kodifiziert, der gegen die Vollstreckungshandlung mit größerer Gewaltintensität Widerstand leistet. Dementsprechend wird deutlich, dass der Gesetzgeber i.R.v. Vollstreckungshandlungen drei Eskalationsstufen erkannt hat, die unterschiedlich bestraft werden: auf der ersten Stufe die Drohung mit Gewalt (§ 113 StGB), auf der zweiten Stufe die Ausübung von Gewalt (§ 113 StGB) und auf der dritten Stufe die Ausübung eines tätlichen Angriffs (§ 114 StGB).
2. Abgrenzung zwischen § 114 und 113 StGB
Problematisch erscheinen die Grenzen der jeweiligen Stufen, wobei insbesondere die Grenze zwischen Gewalt und tätlicher Angriff bislang ungeklärt ist (BeckOK StGB/Dallmeyer, 42. Ed. 1.5.2019, § 114, Rn 5.). Denn ein wuchtiger Schlag in das Gesicht des Beamten, um sich der Vollstreckungshandlung zu entziehen, erfüllt sowohl den Tatbestand der Gewalt als auch den des tätlichen Angriffs (BeckOK StGB/Dallmeyer, 42. Ed. 1.5.2019, § 114, Rn 5). Zur Abgrenzung könnten die unter III. genannte enge Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs dienen, die auf eine Erheblichkeitsschwelle der Gewaltausübung für das Vorliegen eines tätlichen Angriffs abzielt. Denn die Ausübung eines tätlichen Angriffs i.R.d. Widerstands gegen eine Vollstreckungshandlung (3. Stufe) ist vom Unrechtsgehalt umfassender als die Ausübung von Gewalt (2. Stufe) (so auch im Hinblick auf den Unrechtsgehalt: BeckOK StGB/Dallmeyer, 42. Ed. 1.5.2019, § 114, Rn 5). Eine Abgrenzung kann dabei nur anhand des Einzelfalls anhand der jeweiligen Tatbegehung erfolgen (ausführlicher dazu Kulhanek, JR 2018, 551, 555).