Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 AsylG – vorbehaltlich der in § 4 Abs. 2 AsylG normierten Ausschlussgründe – subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Nach § 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens treten; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl L 337, S. 9) – sog. Anerkennungsrichtlinie – zum subsidiären Schutz umgesetzt.
Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG ist nach dem Urteil des BVerwG vom 20.5.2020 (1 C 11/19) – wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK – aufgrund weitgehend identischer sachlicher Regelungsbereiche (BVerwGE 146, 12 Rn 36) auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen. Danach haben die sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat weder notwendig noch ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EGMR, Urteile v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi, Rn 278 und v. 29.1.2013 – Nr. 60367/10, S.H.H., Rn 74). Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reiche nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Denn die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ziele hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gelte nach der Rechtsprechung des EGMR nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprächen (EGMR NVwZ 2008, 1334 Rn 42 und v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07; BVerwGE 146, 12 Rn 23, 25 und Beschl. v. 13.2.2019 – 1 B 2.19, juris Rn 6).
Hinweis:
Im Fall einer unzureichenden medizinischen Versorgung hat der EuGH mit Urt. v. 18.12.2014 – C-542/13 ([ECLI:EU:C:2014:2452] M'Bodj, Rn 35, 41) entschieden, dass der in Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU) genannte ernsthafte Schaden nicht bloß die Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems des Herkunftslandes sein dürfe. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt seien, stellten für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen sei.