Im Rahmen der gerichtlich gebotenen Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht kommen, und zwar die erstmalige oder wiederholende (erneute) Einholung. Darüber hinaus kann das Gericht auch ein anderweitig eingeholtes Sachverständigengutachten heranziehen. Welche rechtlichen Möglichkeiten vor welchem normativen Hintergrund bestehen, hat das BVerwG in seinem Beschl. v. 15.6.2020 (2 B 30.19) aufgezeigt.
Danach regeln § 412 ZPO i.V.m. § 98 VwGO nur die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, nachdem das Gericht in seinem eigenen gerichtlichen Verfahren selbst ein (erstes) Gutachten nach Maßgabe der §§ 402 ff. ZPO eingeholt hat. Daher könne zur Beurteilung der Frage, ob das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung eines ersten, eigenen Sachverständigengutachtens ablehnen dürfe, nicht § 412 ZPO herangezogen werden.
Wenn das Gericht im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ein in einem anderen gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Verfahren eingeholtes Sachverständigengutachten verwerten wolle, sei ihm zum einen der Weg über eine sog. Verwertungsanordnung gem. § 411a ZPO i.V.m. § 98 VwGO eröffnet; für diesen Fall sei auch § 412 ZPO anwendbar.
Hinweis:
Das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl I, S. 2198) hat durch die Einfügung des § 411a ZPO i.V.m. § 98 VwGO den Weg eröffnet, die Einholung eines eigenen schriftlichen Sachverständigengutachtens durch die Verwertung des in einem anderen gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachtens zu ersetzen (vgl. zu § 411a ZPO: Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. II, Stand: 36. Erg.Lfg. Februar 2019, § 98 Rn 173a; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 98 Rn 34). Hierfür ist eine sog. Verwertungsanordnung erforderlich, die – schon aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit – zweckmäßigerweise als förmlicher Beweisbeschluss ergehen sollte; doch billigt die zivilgerichtliche Rechtsprechung auch konkludent getroffene Anordnungen (vgl. etwa BGH NJW 2018, 1171 Rn 19; NJW-RR 2016, 833 Rn 15; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 411a Rn 13; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 411a ZPO Rn 4; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 411a ZPO Rn 3).
Möglich sei zum anderen, das anderweitig eingeholte Sachverständigengutachten im Wege des Freibeweises als Urkundsbeweis in das eigene Verfahren einzuführen und unter Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten zu verwerten, die diese nach den Regeln des Sachverständigenbeweises hätten. In beiden Fällen könne das Gericht den Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Einholung eines (ersten, eigenen) gerichtlichen Sachverständigengutachtens ablehnen, wenn das Vorbringen des Verfahrensbeteiligten gegen das in dem anderen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nach den Grundsätzen der richterlichen Überzeugungsbildung und freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO und § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 286 ZPO) nicht geeignet sei, den fachlichen Inhalt dieses Sachverständigengutachtens ernsthaft zu erschüttern. Hierfür gälten die allgemeinen Maßstäbe, die auch sonst an Beweisanträge und -anregungen zu stellen seien.