Mehr als 50 Organisationen – unter ihnen Amnesty International, die Caritas und die Diakonie sowie die Flüchtlingsräte mehrerer Bundesländer – haben den Bundestag sowie die zuständigen Bundesministerien aufgefordert, Menschen, die sich in Abschiebehaft befinden, Anwälte/Anwältinnen zur Seite zu stellen und dies gesetzlich vorzuschreiben. Dass dies bislang nicht verpflichtend ist, sei "eines Rechtsstaates unwürdig", so die Unterzeichner eines Mitte Oktober vorgestellten Positionspapiers.
Die Organisationen begründen ihre Forderung damit, dass es in der Abschiebungshaft immer wieder zu schwerwiegenden Verfahrensfehlern komme, die meist erst durch anwaltliche Unterstützung korrigiert werden könnten. Die Betroffenen würden sich mit dem in Deutschland geltenden Rechtssystem nicht hinreichend auskennen, um sich wirksam gegen die Anordnung oder Verlängerung der Haft wehren zu können. "Gegenüber der die Haft beantragenden Behörde sind die Betroffenen somit offensichtlich in einer unterlegenen Position", heißt es in dem Papier, das u.a. vomâEUR™Deutschen Anwaltverein und der Neuen Richtervereinigung mitunterzeichnet wurde. Und weiter: "Ohne eine anwaltliche Vertretung sehen sie sich hilflos einem Verfahren ausgesetzt, das sie nicht verstehen und deshalb auch nicht beeinflussen können, als dessen Ergebnis die Menschen aber ihre Freiheit verlieren. (...) Gefangene, die einen Anwalt/eine Anwältin nicht bezahlen können, sind somit nicht in der Lage, ihre Rechte effektiv wahrzunehmen. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig und sollte unbedingt geändert werden."
Das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, das Bundesfamilienministerium sowie Mitglieder ausgewählter Bundestagsausschüsse wurden aufgefordert, analog zur Pflichtverteidigung im Strafprozess auch eine Pflichtbeiordnung von Anwälten/Anwältinnen in Verfahren zur Anordnung von Abschiebungshaft gesetzlich einzuführen. Eine entsprechende Möglichkeit böte das angekündigte neue Gesetzespaket zum Migrationsrecht. Die Unterzeichner argumentieren, dass an einen Haftbeschluss hohe formale und inhaltliche Anforderungen gestellt werden. Diesen Anforderungen werde die Praxis in der Abschiebungshaft häufig nicht gerecht; valide Schätzungen gingen von rund 50 % fehlerhaften Inhaftierungen aus. Bei einer derart hohen Fehlerquote drohten rechtsstaatliche Grundsätze ihre generelle Gültigkeit zu verlieren. Eine Ursache für die Fehlerquote sei, dass Betroffene, die oftmals mittellos seien und denen es an System- und Sprachkenntnissen fehle, ohne professionellen Beistand vor Gericht keine Chance hätten, ihre Grundrechte zu verteidigen. "Die Freiheitsentziehung stellt das schärfste Schwert unseres Rechtssystems dar", fassen die Unterzeichner zusammen. Um den Rechtsstaat durchzusetzen und das Leid der Betroffenen zu mindern, brauche es deshalb eine Pflichtbeiordnung von Anwälten/Anwältinnen.
Das derzeitige System der Verfahrenskostenhilfe, so die Initiatoren, helfe zwar mittellosen Inhaftierten, sei aber unzureichend. Eine Verfahrenskostenhilfe werde nur dann gewährt, wenn der Antrag oder die Beschwerde nach Ansicht des Gerichts Aussicht auf Erfolg habe. Die bedeute, dass ein anwaltlicher Beistand erst einmal detaillierte Begründungen schreiben müsse, ohne sicher sein zu können, jemals hierfür bezahlt zu werden. Das Nachsehen hätten demnach Abschiebehäftlinge mit bescheidenen finanziellen Mitteln.
[Red.]