1 Neuregelungen im November
In den vergangenen Wochen sind wieder einige Neuregelungen in Kraft getreten. Sie betreffen die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland, die Energiesicherheit in Deutschland sowie den Verbraucherschutz. Im Einzelnen:
Fachkräfteeinwanderung
Einige Regelungen des bereits im Juli beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sind im November in Kraft getreten. Wer beispielsweise zwei Jahre Berufserfahrung und einen Abschluss im Heimatland hat, kann jetzt als Fachkraft nach Deutschland einwandern; der Berufsabschluss muss – anders als bisher – nicht mehr in Deutschland anerkannt sein. Zudem wird die Verdienstgrenze für die sog. Blaue Karte abgesenkt. Neu ist auch eine Chancenkarte mit einem Punktesystem; zu den Auswahlkriterien in diesem System gehören Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und mitziehende Lebens- oder Ehepartner. Weitere Regelungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes treten im März und Juni 2024 in Kraft.
Kohlekraftwerke als Versorgungsreserve
Bereits im Oktober hat die Bundesregierung die Versorgungsreserveabrufverordnung geändert. Damit können Braunkohlekraftwerke – zunächst befristet bis zum 31.3.2024 – weiterhin am Strommarkt teilnehmen. Damit soll die Kohleverstromung auch im Winter 2023/24 helfen, Gas einzusparen. Mit der Stromangebotsausweitungsverordnung hat die Regierung zudem die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch Steinkohlekraftwerke übergangsweise Strom als Netzreserve produzieren dürfen.
Neue Verbandsklagemöglichkeit
Mit einem neuen Gesetz ist in Deutschland Mitte Oktober die EU-Verbandsklagerichtlinie umgesetzt worden. Sie erlaubt es Verbraucherverbänden, gleichartige Leistungsansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegen ein Unternehmen unmittelbar gerichtlich einzuklagen. Dabei kann es um mangelhafte Produkte, verspätete Flüge oder unzulässige Kontogebühren gehen. Zugleich soll damit die Justiz von massenhaften Einzelklagen entlastet werden. Hintergrund der neuen sog. Abhilfeklage war der Dieselskandal, der die Gerichte mit massenhaften gleichgelagerten Klagen belastet hat. Wird künftig einer solchen Klage stattgegeben, erhalten die Betroffenen den ihnen zustehenden Geldbetrag direkt von einem Sachwalter ausgezahlt, der das Urteil umsetzt.
[Quelle: Bundesregierung]
2 BVerfG kippt neue Wiederaufnahmeregelung im Strafverfahren
Das BVerfG hat Ende Oktober die schon bei ihrer Einführung im Jahr 2021 heftig umstrittene Gesetzesänderung, die es erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen erneut Anklage gegen einen Freigesprochenen zu erheben, wenn der Vorwurf auf Mord oder Völkermord lautet, für verfassungswidrig erklärt. Die Neuregelung verstoße sowohl gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem”) als auch gegen das Verbot der echten Rückwirkung von Gesetzen, befanden die Karlsruher Richter (BVerfG, Urt. v. 31.10.2023 – 2 BvR 900/22, s. ZAP EN-Nr. 642/2023 [Ls.], [in dieser Ausgabe]).
Auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts stand § 362 Nr. 5 StPO, der im Dezember 2021 durch das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit” eingeführt wurde. Danach darf ein Strafverfahren gegen einen rechtskräftig Freigesprochenen wiederaufgenommen werden, wenn aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe dafür bestehen, dass der Betroffene nunmehr wegen Mordes oder bestimmter Völkerstraftaten verurteilt wird. Auf diese Norm berief sich die Staatsanwaltschaft beim LG Verden, als sie im vergangenen Jahr, gestützt auf neue Beweismittel, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen einen bereits 1983 Freigesprochenen stellte. Das Landgericht erklärte den Wiederaufnahmeantrag für zulässig und ordnete Untersuchungshaft an; die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde vom OLG Celle verworfen. Der daraufhin vom Beschwerdeführer erhobenen Verfassungsbeschwerde gab das BVerfG allerdings statt.
Die Richter des 2. Senats verwarfen § 362 Nr. 5 StPO als verfassungswidrig. Die Norm verstoße sowohl gegen Art. 103 Abs. 3 GG als auch gegen Art. 20 Abs. 3 GG. § 103 Abs. 3 GG, der das Prinzip des Strafklageverbrauchs („ne bis in idem”) umsetze, enthalte ein grundrechtsgleiches Recht. Dieses verbiete dem Gesetzgeber eine Regelung der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Grundrechtsträgers aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel, führte das BVerfG aus. Die Verfassungsnorm stelle eine besondere Ausprägung des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Vertrauensschutzes dar. Wäre es dem Gesetzgeber möglich, einfachgesetzlich weitere Wiederaufnahmegründe einzuführen, die eine erneute Strafverfolgung und ggf. Verurteilung erlauben, wäre die Verfassungsnorm praktisch wirkungslos. Sie müsse daher gegenüber dem das Wiederaufnahmerecht gestaltenden Gesetzgeber als ein absolutes und abwägungsfestes Verbot verstanden werden.
Zwar verbiete die Verfassung die Wiederaufnahme von Strafverfahren zum Nachteil des Grundrechtsträgers nicht generell. Leide ein Strafurteil unter schwerwiegenden Mängeln, wie sie etwa in § 362 Nr. 14 StPO beschrieben werden, dürfe ein ...