Nach Auffassung der Politik soll die Corona-Pandemie zwar vorbei sein, das gilt aber sicherlich nicht für den rechtlichen Bereich. Denn in diesem werden wir noch länger infolge der Abwicklung anhängiger Verfahren damit zu tun haben (vgl. zur Rechtsprechung zu „Coronafragen” aus der letzten Zeit die Rechtsprechungsübersicht von Deutscher, StRR 3/2023, 6 ff.). Hier soll daher noch einmal auf eine Problematik eingegangen werden, die die Gerichte in der Vergangenheit besonders beschäftigt hat. In der Rechtsprechung war nämlich umstritten, ob die Fälle von gefälschten oder durch falsche Tatsachen erschlichene ärztliche Atteste, Impfzeugnisse und Testnachweise von §§ 277, 279 StGB a.F. erfasst wurden oder nicht. Teilweise war davon ausgegangen worden, dass insoweit eine Strafbarkeitslücke besteht (OLG Bamberg NJW 2022, 556), teilweise ist das verneint worden und man ist davon ausgegangen, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB bei der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-Impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277–279 StGB a.F. verdrängt wird (BayObLG, Beschl. v. 22.7.2022 – 202 StRR 71/22; OLG Celle, Urt. v. 31.5.2022 – 1 Ss 6/22, NJW 2022, 2054 = StraFo 2022, 294; OLG Hamburg, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 Ws 114/21; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 33/22, StV 2022, 397; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.3.2022 – 1 Ws 19/22). Das OLG Karlsruhe hatte diese Frage dann dem BGH vorgelegt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22).
Der hat über die Vorlage nicht entschieden, sondern die Sache mit Beschl. v. 13.7.2023 (1 StR 286/22) an das OLG zurückgegeben, weil die Vorlegungsvoraussetzungen nicht – mehr – gegeben seien. Denn der 1. Strafsenat hatte bereits durch Urt. v. 12.7.2023 (1 StR 260/22) entschieden, dass in Sachverhaltsgestaltungen, in denen der gefälschte Impfpass in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wird, eine Sperrwirkung durch eine privilegierende Spezialität des § 279 StGB a.F. gegenüber dem allgemeinen Urkundstatbestand des § 267 Abs. 1 StGB nicht gegeben ist. Der Senat hatte sich hierbei der grundlegenden Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH (Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22, BGHSt 67, 141 m. Anm. Deutscher, StRR 8/2023, 31) angeschlossen, der ebenfalls zur Strafbarkeit durch den Fälscher des Impfausweises Stellung genommen hatte und dabei (auch) davon ausgegangen war, dass das das Fälschen von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB a.F. zur Urkundenfälschung nach § 267 StGB nicht im Verhältnis sog. privilegierender Spezialität steht.
Hinweis:
Die entschiedene Streitfrage betrifft nur die Behandlung und Abwicklung von Altfällen und hat für Neufälle nach der Änderung des § 279 StGB am 24.11.2021 durch das „Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite” v. 22.11.2021 (BGBl I, S. 4906) keine Auswirkung.