Eine besondere Herausforderung für die Praxis sind bei streitiger Auseinandersetzung über Unterhalt im Wechselmodell die verfahrensrechtlichen Fragen.
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge hat nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB der Obhutselternteil die Berechtigung, Unterhalt geltend zu machen. Als Obhutselternteil gilt aber nur derjenige Elternteil, der einen Anteil von mehr als 50 % an der Kinderbetreuung hat.
Hinweise:
- Beim paritätischen Wechselmodell hat damit kein Elternteil die Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB (OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.9.2019 – 13 UF 154/19, FuR 2020, 56; OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.11.2022 – 13 UF 24/21, NJW 2023, 86; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.9.2022 – 9 UF 74/22, FamRZ 2022, 1929).
- Folglich ist kein Elternteil „automatisch” berechtigt, den Unterhalt des Kindes geltend zu machen.
1. Lösungsmöglichkeit Bestellung eines Ergänzungspflegers
Teilweise wird die Bestellung eines Ergänzungspflegers (seit 1.1.2023: § 1809 BGB) verlangt (OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.3.2023 – 11 UF 214/22, FamRZ 2023, 1204 mit ausführlicher Begründung; OLG Köln, Beschl. v. 21.3.2014 – 4 UF 1/14, FamRZ 2015, 859; vgl. auch OLG Celle, Beschl. v. 20.8.2014 – 10 UF 163/14, FamRZ 2015, 590; Götz, FF 2015, 146, 149; Seiler, FamRZ 2015, 1845, 1850; Seiler, FF 2017, 117,118; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.9.2022 – 9 UF 74/22, FamRZ 2022, 1929) und dabei v.a. auf die Interessengegensätze der Eltern abgestellt.
Hinweise:
- In diesem Fall besteht seitens der Eltern keine Möglichkeit mehr, auf den Verlauf des von dem Ergänzungspfleger zu führenden Verfahrens Einfluss zu nehmen.
- Auch das Jugendamt kann als Ergänzungspfleger bestellt werden.
- Das Jugendamt kann sich gegen die Bestellung als Ergänzungspfleger nicht mit dem Argument zur Wehr setzen, die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Berechnung des Kindesunterhaltsanspruchs im Sonderfall des Wechselmodells seien bei ihm nicht vorhanden (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.3.2021 – 2 UF 28/21, FamRZ 2021, 1199).
2. Lösungsmöglichkeit: Bestimmung eines Elternteils nach § 1628 BGB
Die wohl überwiegende Rechtsprechung billigt den Weg über § 1628 BGB (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 17.10.2016 – 6 UF 242/16, NJW 2017, 336; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.9.2022 – 9 UF 74/22, FamRZ 2022, 1929), und zwar auch durch einstweilige Anordnung (OLG Hamburg, Beschl. 27.10.2014 – 7 UF 124/14, FamRZ 2015, 591).
Der BGH hat diese Lösung in seiner Entscheidung v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532 letztlich gebilligt:
Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil nach § 1628 BGB werden den Eltern die nicht unerheblichen Kosten eines Ergänzungspflegers erspart (OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.9.2022 – 9 UF 74/22, FamRZ 2022, 1929). Dieser Ansicht nach kann lediglich ein konkreter Interessenkonflikt der Eltern im festzustellenden Einzelfall die Bestellung eines Ergänzungspflegers gebieten (OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.9.2022 – 9 UF 74/22, FamRZ 2022, 1929).
Hinweise:
- Allerdings bedeutet auch der Weg über § 1628 BGB, dass immer vor dem eigentlichen Unterhaltsverfahren ein gesondertes Verfahren durchgeführt werden muss.
- Zudem steht – wie die obigen Berechnungsbeispiele zeigen – erst am Ende der Berechnungen fest, welcher Elternteil eigentlich einen Anspruch hat.
3. Wahlrecht zwischen den beiden Möglichkeiten
Nach der Rechtsprechung besteht ein Wahlrecht zwischen den beiden Möglichkeiten (OLG Celle, Beschl. v. 9.12.2019 – 10 UF 270/19, NJW 2020, 1231; OLG Hamburg, Beschl. v. 27.10.2014 – 7 UF 124/14, NZFam 2015, 31; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.2019 – II–6 UF 197/18, FuR 2020, 246; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 15.3.2021 – 2 UF 28/21; OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.6.2020 – 9 UF 36/20, FUR 2021, 136; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.9.2022 – 9 UF 74/22, FamRZ 2022, 1929).
4. Interessenkonflikt bei Verbindung mit Ehegattenunterhalt
Macht der Verfahrensbevollmächtigte sowohl Ehegattenunterhalt als auch Kindesunterhalt geltend, stellt sich aufgrund der anteiligen Haftung des von ihm vertretenen Ehegatten auch für den Kindesunterhalt die Frage des Interessenkonflikts (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.3.2023 – 11 UF 214/22, FamRZ 2023, 1204), die bisher – soweit ersichtlich – nur beim Elternteil und einem volljährig gewordenen Kind problematisiert worden ist (dazu BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, FamRZ 2012, 1563 = FF 2012, 353 m. Anm. Offermann-Burckart; AGH Frankfurt a.M., Gerichtsbeschl. v. 7.11.2018 – 2 AGH 4/16, FamRZ 2019, 839; Henssler/Deckenbrock, NJW 2012, 3265; Hartung, AnwBl 2011, 679; Offermann-Burckart, FF 2012, 17).