Die wohl wichtigste Fallgruppe für die Praxis stellen die sog. Trunkenheitsfahrten dar. Hier geht es i.d.R. in der Kaskoversicherung um den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 VVG und im Haftpflichtfall um den Regress gegen den Versicherungsnehmer im Innenverhältnis wegen einer Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls nach § 28 VVG: Hierbei ist jeweils zwischen den Fällen der sog. absoluten und relativen Fahruntüchtigkeit zu unterscheiden.
Hinweis:
In der Praxis setzt sich bei den Fällen der absoluten Fahruntüchtigkeit derzeit wohl doch eine vollständige Leistungskürzung durch. Bei den Fällen der relativen Fahruntüchtigkeit liegt die Kürzungsquote im Regelfall auch oberhalb von 50 %.
1. Absolute Fahruntüchtigkeit
Eine absolute Fahruntüchtigkeit setzt bei dem Führer eines Kfz eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 1,1 ‰, bei einem Radfahrer von 1,6 ‰ voraus. Steht eine solche Alkoholisierung fest, wird die Ursächlichkeit für den Verkehrsunfall im Wege des Anscheinsbeweises vermutet (OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.4.2013 – 4 U 31/12, zfs 2013, 466; LG Saarbrücken, Urt. v. 18.2.2015 – 14 O 108/14). In diesen Fällen ist eine vollständige Leistungsfreiheit dogmatisch möglich und bereits mehrfach vom BGH bestätigt worden (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 205/10, zfs 2011, 511; BGH, Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10). Dies gilt insbesondere bei den Fällen einer absoluten Fahruntüchtigkeit im Grenzbereich zu einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt, wobei sich jedoch jede schematische Lösung verbietet und immer eine Einzelfallprüfung geboten ist. Entlastende vom Versicherungsnehmer plausibel vorgetragene Umstände muss der Versicherer dabei widerlegen.
Eine Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers kann entfallen, wenn er aufgrund einer Volltrunkenheit nicht mehr deliktsfähig i.S.d. § 827 BGB ist. Dies hat der Versicherungsnehmer aber zu beweisen (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10, zfs 2011, 511). In der Regel kommt ein solcher Ausschluss nur bei einer erheblichen Alkoholisierung von über 3,0 ‰ in Betracht (OLG Frankfurt, Urt. v. 14.4.1999 – 7 U 87/98, VersR 2000, 883).
Häufig ist jedoch zu Lasten des Fahrers als Abwägungsfaktor zu berücksichtigen, dass von ihm der Straftatbestand des § 315c StGB erfüllt sein dürfte. Diese Strafnorm spiegelt das hohe Gefährdungspotential des Verhaltens auf der Beklagtenseite wieder und führt zu einer entsprechenden Berechtigung zu einer weitreichenden Leistungskürzung (OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.8.2010 – 7 U 102/10, NZV 2011, 296). Dies gilt erst recht, wenn eine zumindest gegebene grobe Fahrlässigkeit angesichts der erheblichen Alkoholisierung eine enge Nähe zu einer Fahrt im Trunkenheitszustand mit bedingtem Vorsatz aufweist. Und i.d.R. wird auch noch zu berücksichtigen sein, dass die Auswirkungen eines Alkoholkonsums im Straßenverkehr hinlänglich bekannt sind (OLG Hamm, Urt. v. 25.8.2010 – 20 U 74/10, NJW 2011, 85; LG Saarbrücken, Urt. v. 18.2.2015 – 14 O 108/14).
Demzufolge ist auch bereits von den nachfolgenden Gerichten eine vollständige Leistungsfreiheit bejaht worden:
Gericht |
Entscheidung |
Az. |
Quote |
Fall |
BGH |
Urt. v. 11.1.2012 |
IV ZR 251/10 |
100 % |
2,1 ‰ |
OLG Dresden |
Urt. v. 15.9.2010 |
7 U 466/10 |
100 % |
2,7 ‰ |
LG Dortmund |
Urt. v. 27.2.2014 |
2 O 370/13 |
100 % |
2,07 ‰ |
OLG Stuttgart |
Beschl. v. 12.8.2010 |
7 U 102/10 |
100 % |
1,29 ‰ |
OLG Hamm |
Beschl. v. 24.3.2010 |
I 20 U 207/09 |
100 % |
1,67 ‰ |
LG Münster |
Urt. v. 24.9.2010 |
15 O 275/09 |
100 % |
1,67 ‰ |
LG Oldenburg |
Urt. v. 24.9.2010 |
13 O 1964/10 |
100 % |
1,5 ‰ |
LG Saarbrücken |
Urt. v. 18.2.2015 |
14 O 108/14 |
100 % |
1,12 ‰ |
2. Relative Fahruntüchtigkeit
Eine relative Fahruntüchtigkeit kommt ab einer BAK von 0,3 ‰ bis knapp unter 1,1 ‰ in Betracht und setzt zusätzlich einen alkoholbedingten Fahrfehler oder alkoholbedingte Ausfallerscheinungen voraus, ohne dass dabei ein Anscheinsbeweis für Alkoholbedingtheit spricht (BGH, Urt. v. 24.2.1988 – IVa ZR 193/86, NJW 1988, 1846). Steht aber erst einmal eine relative Fahruntüchtigkeit fest, wird in der Rechtsprechung i.d.R. die Ursächlichkeit für den Unfall ebenfalls im Wege des Anscheinsbeweises vermutet (vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 18.3.2013 – 24 S 311/02 SP 2004, 23; LG Kaiserslautern, Urt. v. 7.2.2014 – 3 O 323/13, zfs 2014, 332).
Für die Quotenbildung gelten dann im Grunde dieselben Kriterien wie bei den oben dargestellten Fällen der absoluten Fahruntüchtigkeit. Der Einstieg in die Quotenbildung ist dabei nach h.M. allerdings abhängig vom Alkoholisierungsgrad. Überzeugenderweise startet die Quotenbildung bei 0,3 ‰ mit einer ansteigenden Kürzungsquote von 50 % (OLG Hamm, Urt. v. 20.8.2010 – 20 U 74/10, DAR 2011, 25), wobei die Quote immer größer wird, je höher die Alkoholisierung und die damit verbundene Gefährdung liegt. Es empfiehlt sich dabei ein Vorgehen in 10er Schritten bis zu 100 % und im Grenzbereich zur absoluten Fahruntüchtigkeit ist auch eine vollständige Leistungsfreiheit möglich, aber längst nicht zwingend.
Folgende Rechtsprechung ist zu diesen Fällen hervorzuheben:
Gericht |
Entscheidung |
Az. |
Quote |
Fall |
LG K... |