Ein Fehler, der Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit hervorrufen kann, liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Das kann einen Verfahrensfehler (vgl. Geipel, a.a.O., § 37 Rn 72 m.w.N.) oder einen sachlich-rechtlichen Fehler darstellen (vgl. Geipel, a.a.O., § 37 Rn 100 ff.). Letzteres ist z.B. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt u.a. dann vor, wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können, oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, NJW 2004, 1876 f.).

Damit liegt zugleich ein Rechtsfehler i.S.v. § 546 ZPO vor. Die berufungsgerichtliche Kontrolle geht aber darüber hinaus und prüft Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlich festgestellten Tatsachen auch dann, wenn diese ihren Grund in einem Verfahrensfehler haben, der als solches nicht gerügt worden ist. "Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens – soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muss – gem. § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO nur dann, wenn er gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts (...) nicht eingeschränkt (...). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich – was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte – konkrete Anhaltspunkte i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (m.w.N.). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen" (BGH, Urt. v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, NJW 2004, 1876, 1878 f.).

Oder anders formuliert: Liegen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen vor, "obliegt dem Berufungsgericht nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO die Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines zulässigen Rechtsmittels (...) ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (BGH, Urt. v. 3.6.2014 – VI ZR 394/13, NJW 2014, 2797). D.h., liegt (...) eine zulässige Berufung vor, so ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gem. § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben des Berufungsgericht, das Urteil der Vorinstanz auch ohne dahingehende Rüge auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseitigen (m.w.N.)" (BGH, Versäumnisurt. v. 15.10.2004 – V ZR 223/03, NJW 2005, 983 f.).

Grundsätzlich stellt ein Gehörsverstoß (Nichtberücksichtigung von Vortrag, Übergehen von Beweisanträgen, Nichterschöpfung der Beweismittel, Verkennen der Vier-Augen-Rechtsprechung oder der Notwendigkeit der persönlichen Anhörung) einen Verfahrensfehler dar. Verkennt das Gericht jedoch die sachlich-rechtliche Relevanz eines Parteivorbringens und misst ihm deshalb keine Bedeutung bei, liegen zwar konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit vor, aber kein Verfahrensfehler, was wegen der Fragen der Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 ZPO wichtig ist (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.2011 â^’ VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304).

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