In drei Urteilen vom 22.3.2017 (5 AZR 192/16, 193/16 und 666/15) war zuletzt allein die Differenzvergütung für die tarifliche Treueprämie streitig. Die jeweiligen Arbeitnehmer arbeiteten als Helfer in einem Geflügelschlachtbetrieb. Das Arbeitsverhältnis unterlag der nach § 7 AEntG erlassenen, am 1.8.2014 in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft. Diese bestimmt, dass die Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung der Mindestbedingungen für Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestbedingungen) vom 13.1.2014 auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer, die unter seinen Geltungsbereich fallen, Anwendung finden. Der TV Mindestbedingungen sah im Streitzeitraum je Arbeitsstunde einen Lohn von 7,75 EUR brutto vor. In den zwei streitigen Monaten erhielten die Arbeitnehmer einen Bruttostundenlohn von 7,15 EUR, eine Schichtzulage von 0,10 EUR brutto und eine Treueprämie von 0,50 EUR brutto. Letztere beruht auf einem zum 31.12.2009 gekündigten Haustarifvertrag mit der IG Bauen-Agrar-Umwelt und nachfolgender Gesamtzusagen.
Ob und in welchem Umfang der Mindestlohnanspruch neben der Grundvergütung durch weitere Leistungen erfüllt wird, bestimmt sich danach, ob die vom Arbeitgeber erbrachten (Zusatz-)Leistungen die Normzwecke der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft und des TV Mindestbedingungen sichern. Entsprechend der Zielsetzung in § 1 AEntG sollen angemessene Mindestarbeitsbedingungen in Form von Mindestentgeltsätzen für geleistete Arbeit gem. § 5 S. 1 Nr. 1 AEntG (§ 2 Nr. 1 TV Mindestbedingungen) geschaffen und durchgesetzt sowie faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Gemessen an diesem Tarifzweck ist die von der Beklagten im Streitzeitraum geleistete Treueprämie mindestlohnwirksam. Die Beklagte hat diese vorbehaltlos neben der Grundvergütung als Teil der Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt. Die Treueprämie in der von der Beklagten gewährten Weise erfüllt damit als eine im Synallagma stehende Geldleistung die Zwecke der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft und des TV Mindestbedingungen, die ihrerseits die Anrechnung von Prämien auf den Mindestlohn nicht ausschließen.
Hinweise:
1. |
Während für den allgemeinen Mindestlohn nach dem MiLoG allein der vertragliche Austauschzweck die Anrechnung auf den Mindestlohn bestimmt, ist dies im Bereich der Mindestlohntarifverträge nach dem AEntG anders. Dort bestimmt der jeweilige Verordnungs- oder Tarifzweck über die Anrechenbarkeit (vgl. zur PflegeArbbV: BAG, Urt. v. 18.11.2015 – 5 AZR 761/13, Rn 21 ff., BAGE 153, 248; zur AbfallArbbV: BAG, Urt. v. 16.4.2014 – 4 AZR 802/11, Rn 37 ff., BAGE 148, 68; zum Gebäudereiniger-Handwerk: BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 4 AZR 139/10, NZA 2013, 392; Beschl. v. 18.10.2012 – 4 AZR 168/10, NZA 2013, 386, nachgehend EuGH, Urt. v. 7.11.2013 – C-522/12, "Isbir", NZA 2013, 1359). Der Verordnungsgeber oder die Tarifparteien können die Anrechenbarkeit bestimmter (tariflicher) Vergütungsbestandteile ausschließen. |
2. |
Alle tariflichen Regelungen nach dem AEntG haben Vorrang vor dem MiLoG. Allein der gesetzliche Mindestlohn darf nicht unterschritten werden (vgl. § 1 Abs. 3 MiLoG). |
3. |
Die Entscheidung ist daher auf den Zeitraum nach dem 1.1.2015 nur mit der Einschränkung übertragbar, dass jedenfalls der allgemeine Mindestlohn (8,50 EUR und ab dem 1.1.2017: 8,84 EUR) anzuwenden, jedoch die Treueprämie auch auf den Mindestlohn nach dem MiLoG – weil im Austauschverhältnis stehend – anzurechnen wäre. |
Mit vier Urteilen vom 22.3.2017 (5 AZR 323/16; 5 AZR 324/16, NJW 2017, 2428; 5 AZR 325/16 u. 5 AZR 625/16) hatte der Fünfte Senat für vier im selben Geflügelschlachtbetrieb tätige Arbeitnehmer zur Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruches und des Urlaubsentgelts unter Zugrundelegung einer (streitigen) Treueprämie i.H.v. 0,65 EUR zu entscheiden.
Der Senat hat wie in den vorgenannten drei Urteilen auf die Anrechenbarkeit der Treuprämie erkannt. Eine etwaige unterschiedliche Höhe der Treueprämie, vorliegend i.H.v. 0,65 EUR je Stunde, hat darauf keinen Einfluss.
Das BAG hat zugunsten der Kläger jedoch auf eine Treueprämie i.H.v. 0,65 EUR je Stunde erkannt. Zwar ist die Treueprämie nicht mindestlohnfest. Doch ist diese als Vergütungsbestandteil sowohl für die Berechnung des Feiertagslohnes gem. § 2 Abs. 1 EFZG und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 4 Abs. 1 EFZG (Lohnausfallprinzip) als auch für die Berechnung des Urlaubsentgelts nach § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG (Referenzprinzip der vorangegangenen dreizehn Wochen) einzubeziehen.
Hinweis:
Streiten Parteien sowohl über die Höhe eines Vergütungsbestandteils als auch über dessen Anrechnung auf den Mindestlohn, so ist zwischen der Mindestlohnfestigkeit und der Berechnung von Vergütungsansprüchen zu unterscheiden. Selbst soweit ein Anspruch auf den Mindestlohn anzurechnen ist, ist er sowohl bei dem Lohnaus...