Überholer und Linksabbieger: Bei einem Zusammenstoß mit einem Linksabbieger, der seine Fahrtrichtungsänderung rechtzeitig angezeigt und lediglich seine zweite Rückschaupflicht verletzt hat (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO), und einem nachfolgenden Überholer kommt i.d.R. eine Schadensteilung im Verhältnis 1:2 zu Lasten des Überholers in Betracht, wobei in der Instanzrechtsprechung zum Teil auch eine hälftige Schadensteilung angenommen wird.
Beim Abbiegen in eine Grundstückseinfahrt, bei dem den Linksabbieger gem. § 9 Abs. 5 StVO eine gesteigerte Sorgfaltspflicht trifft, wird sich der Haftungsanteil des Linksabbiegers regelmäßig auf 1/2 bis 2/3 erhöhen, da in diesen Fällen der nachfolgende Verkehr mit einem Abbiegen weniger rechnet (BGH VersR 1961, 560; OLG Frankfurt NZV 2000, 211; KG NZV 2009, 390; Grüneberg, a.a.O., Rn 161). Ist der Linksabbieger dagegen erst kurz vorher auf die Fahrbahn eingebogen, wird der nachfolgende Verkehr mit einem erneuten Abbiegemanöver nicht oder kaum rechnen, so dass i.d.R. eine Schadensteilung mit einem höheren Haftungsanteil zu Lasten des Linksabbiegers von 2/3 bis 3/4 angemessen sein wird (BGH VersR 1963, 85; OLG Bremen NZV 2001, 345).
Ordnet sich der Linksabbieger entgegen der Pflicht aus § 9 Abs. 1 S. 2 StVO nicht zur Straßenmitte ein, wird er bei einem Zusammenstoß i.d.R. eine Mithaftung von mindestens 50 % zu tragen haben (KG VM 1990, 52 [67 %]; OLG Köln DAR 2000, 407 [50 %]). Fährt der Überholer an einer Fahrzeugkolonne in einem Zug vorbei und biegt aus der Kolonne ein Fahrzeug nach links ab, trifft den Überholer i.d.R. die überwiegende Mithaftung von 2/3 (BGH NJW 1965, 1076 [80 %]; KG VRS 117, 326 [67 %]; OLG Hamm NJW-RR 2014, 290 [75 %]; Grüneberg, a.a.O., Rn 164). Missachtet der Überholer ein Überholverbot (§ 5 Abs. 3 StVO), hat er i.d.R. einen Haftungsanteil von 2/3 zu tragen; u.U. trifft ihn auch die volle Haftung (OLG Bamberg r+s 1985, 191 [75 %]; OLG Frankfurt NZV 2017, 438 [100 %]; Grüneberg, a.a.O., Rn 165). Eine Geschwindigkeitsüberschreitung (§ 3 StVO) wird den Haftungsanteil des Überholers i.d.R. auf 80 %, u.U. sogar bis zur vollen Haftung erhöhen (OLG Düsseldorf VersR 1973, 372; OLG Stuttgart VRS 76, 8; s. aber OLG Düsseldorf NZV 1998, 502 [50 %]).
Zeigt der Linksabbieger entgegen § 9 Abs. 1 S. 1 StVO seine Abbiegeabsicht nicht rechtzeitig an, hat er i.d.R. die volle Haftung zu tragen. Eine Mithaftung des Überholers in Höhe der normalen Betriebsgefahr kommt jedoch z.B. bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung, bei einer Missachtung eines Überholverbots oder bei einem Überholen mehrerer Kolonnenfahrzeuge in einem Zug in Betracht (BGH VersR 1963, 87; OLG Brandenburg VRS 106, 18; OLG Köln NZV 1999, 333 [50 %]; Grüneberg, a.a.O., Rn 169 f.). Gleiches gilt, wenn der Linksabbieger entgegen § 9 Abs. 1 S. 1 StVO die Anzeige seiner Abbiegeabsicht unterlässt (Grüneberg, a.a.O., Rn 172–175). Ist die Betätigung des Blinkers nicht aufklärbar, kommt i.d.R. eine Schadensteilung in Betracht, wobei den Linksabbieger der höhere Haftungsanteil treffen wird (BGH VersR 1964, 1051 [75 %]; OLG Frankfurt NZV 2003, 415 [60 %]; Grüneberg, a.a.O., Rn 176).