Der Achte Senat des BAG (Urt. v. 16.5.2019 – 8 AZR 530/17, NZA 2019, 1348) hat erstmalig zur Frage, ob die Ablehnung einer stufenweisen Widereingliederung i.R.d. BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX a.F., jetzt § 167 SGB IX, einen Schadenersatzanspruch auslöst, entschieden.
Der schwerbehinderte Kläger ist bei der beklagten Stadt als Technischer Angestellter beschäftigt. Von August 2014 bis einschließlich 6.3.2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 12.9.2015 fand eine betriebsärztliche Untersuchung des Klägers statt, die eine stufenweise Wiedereingliederung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit befürwortete. Unter Vorlage des Wiedereingliederungsplans seines behandelnden Arztes vom 28.10.2015 beantragte der Kläger bei der beklagten Stadt die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im Zeitraum vom 16.11.2015 bis zum 15.1.2016. Der Wiedereingliederungsplan des behandelnden Arztes sah keine Einschränkungen in der Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit gab der behandelnde Arzt den 18.1.2016 an.
Die beklagte Stadt lehnte diesen Wiedereingliederungsplan am 5.11.2015 mit der Begründung ab, dass ein Einsatz des Klägers im bisherigen Aufgabengebiet/Tätigkeitsbereich wegen der in der betriebsärztlichen Beurteilung aufgeführten Einschränkungen nicht möglich sei. Dem vom Kläger vorgelegten zweiten Wiedereingliederungsplan, der eine Wiedereingliederung in der Zeit vom 4.1. bis zum 4.3.2016 vorsah und dem ein Bericht der behandelnden Psychologin beilag, wonach Einschränkungen in der Tätigkeit nicht mehr bestanden, stimmte die beklagte Stadt nach erneuter – nun positiver – Beurteilung durch die Betriebsärztin zu. Diese Wiedereingliederung war erfolgreich, der Kläger erlangte am 7.3.2016 seine volle Arbeitsfähigkeit wieder.
Der Kläger fordert mit seiner Klage von der beklagten Stadt den Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit vom 18.1. bis zum 6.3.2016 dadurch entgangen ist, dass die beklagte Stadt ihn nicht entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28.10.2015 beschäftigt hat.
Während das ArbG die Klage abwies, gab das LAG der Klage im Wesentlichen statt. Es hatte geurteilt, schwerbehinderte Menschen hätten einen Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung, der auch eine stufenweise Wiedereingliederung beinhalte. Bei unberechtigter Ablehnung eines derartigen Anspruchs könne auch aus § 84 Abs. 2 SGB IX (bzw. § 167 Abs. 2 SGB IX [2018]) ein Vermögensschaden geltend gemacht werden. Eine entsprechende Kausalität, dass die unterbliebene Maßnahme nicht zu einer verzögerten Genesung führe, habe der Arbeitgeber nachzuweisen. Die Revision der beklagten Stadt hatte vor dem Achten Senat des BAG Erfolg. Die beklagte Stadt war nicht verpflichtet, den Kläger entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28.10.2015 in der Zeit vom 16.11.2015 bis zum 15.1.2016 zu beschäftigen. Zwar kann der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX a.F./jetzt § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung derart mitzuwirken, dass er den Beschäftigten entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans beschäftigt. Im konkreten Fall des Klägers lagen allerdings besondere Umstände vor, aufgrund derer die beklagte Stadt ihre Zustimmung zum Wiedereingliederungsplan vom 28.10.2015 verweigern durfte. Es bestand aufgrund der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12.10.2015 die begründete Befürchtung, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Beschäftigung entsprechend diesem Wiedereingliederungsplan nicht zulassen würde. Die begründeten Zweifel an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans ließen sich auch nicht bis zum vorgesehenen Beginn der Maßnahme ausräumen.
Hinweise:
- Das BAG hat bisher einen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers verneint.
- Ob behinderte oder nicht behinderte Arbeitnehmer bei unterbliebenem BEM Verdienstausfall geltend machen können, ist offen (zum BEM: Bissels/Falter BB 2018, 1405).
- Im konkreten Fall lagen drei ärztliche Beurteilungen vor: Die ersten beiden, die innerhalb von zwei Wochen erfolgten, widersprachen sich. Bei der dritten ärztlichen Beurteilung bestand Übereinstimmung.