Welche Kündigungsfrist ist auf den Fremdgeschäftsführer einer GmbH anzuwenden: § 621 BGB oder § 622 BGB analog. Das BAG (Urt. v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, ZAT 2020, Heft 5 mit Anm. Gundel) entscheidet entgegen der h.M. in der Literatur (vgl. statt aller: APS/Linck 5. Aufl. BGB § 622 Rn 12) und entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte (vgl. zuletzt nur: OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.10.2016 – 8 U 122/15 – zu B II 2 a aa der Gründe), zugleich klärt es den Umfang der Diskriminierungsvorschriften zum Schutz ehrenamtlicher Richter.
Die Klägerin war zunächst als Verwaltungsleiterin einer in Brandenburg gelegenen Reha-Klinik tätig. Seit 2009 war sie Geschäftsführerin der Beklagten. Die Klägerin bemängelte 2017 angebliche erhebliche Versäumnisse des Vereinsvorstands, dessen Tochter die Beklagte ist. Der Verein mahnte die Klägerin ab und strich deren Alleinvertretungsbefugnis aus dem Handelsregister. Nach wiederholter schriftlicher massiver Kritik durch die Klägerin und dem Angebot der Übernahme der Gesellschaftsanteile der Beklagten beschloss die Gesellschafterversammlung am 28.2.2018 die ordentliche Kündigung der Klägerin sowie deren Abberufung als Geschäftsführerin zum 1.3.2018. Zeitgleich wurde das Anstellungsverhältnis ordentlich zum 31.5.2018 gekündigt.
Die Klägerin, die auch ehrenamtliche Richterin bei einem Arbeitsgericht in Brandenburg war, beruft sich in ihrer hiergegen gerichteten Klage u.a. auf das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, weil die Kündigung sie in ihrer Stellung als ehrenamtliche Richterin gem. Art. 110 Abs. 1 S. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg verletze, die Berufung der Beklagten auf § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG sei rechtsmissbräuchlich, die Kündigungsfrist ergebe sich aus § 622 BGB.
Das BAG weist die Revision der Klägerin als unbegründet zurück. Das Anstellungsverhältnis habe bis zum 30.6.2018 bestanden. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe die organschriftliche Stellung als Geschäftsführerin noch bestanden. Daher bedürfe es nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keiner sozialen Rechtfertigung der Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG. Auch i.Ü. sei die Kündigung nicht unwirksam. Die Parteien haben die Kündigungsfrist nicht eigenständig geregelt. Sie haben vielmehr auf die "gesetzliche Kündigungsfrist" Bezug genommen. Die Kündigungsfrist folgt aus § 621 BGB, der auf Fremdgeschäftsführer einer GmbH anzuwenden ist.
Die bisherige Rechtsprechung des BGH hat § 622 BGB analog angewendet. Bis zum 14.8.1969 (Erstes arbeitsrechtliches Bereinigungsgesetz vom 14.8.1969) lag die Unterscheidung in Arbeiter und Angestellte als Strukturmerkmal zugrunde. Wurde einem "zur Leistung von Diensten höherer Art Angestellte(n)" gekündigt, griff § 622 BGB ein (vgl. zum Vorstand einer Aktiengesellschaft: BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, NJW 1954, 505). Für die Rechtslage nach dem 14.8.1969 bis zum 14.10.1993 hat der Bundesgerichtshof im Urt. v. 29.1.1981 (BGH, Urt. v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, Leitsatz und Rn 6, BGHZ 79, 291) für den Fremdgeschäftsführer einer GmbH die direkte Anwendung des § 622 Abs. 1 BGB mangels Arbeitnehmereigenschaft verneint. Der Gesetzeszweck und auch die Interessenlage beider Parteien gebiete jedoch die analoge Anwendung, weil der Gesetzeszweck unverändert geblieben sei. Der BGH hat diese Rechtsprechung auf den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH erstreckt, vorausgesetzt, dass: (1) Dieser nicht Mehrheitsgesellschafter sei (BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83 [Leitsatz und zu 3 der Gründe], NJW 1984, 2528) oder (2) Das Rechtsverhältnis des Geschäftsführers der Komplementär GmbH zur Kommandit-gesellschaft bei einer GmbH und Co KG betroffen ist (BGH, Urt. v. 9.3.1987 – II ZR 132/86 [Leitsatz und zu 4 der Gründe]).
Auch das BAG (Urt. v. 27.6.1985 – 2 AZR 425/84 [Leitsatz und IV der Gründe, juris Rn 32 f.], DB 1986, 2132) hat für eine Kündigung nach dem Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9.7.1926 (RGBl I S. 399, sog. Angestelltenkündigungsschutzgesetz), die danach geltende verlängerte fünf-monatige Kündigungsfrist zum Quartalsende nach § 622 BGB analog auf einen konkret mehr als elf Jahre beschäftigten Fremdgeschäftsführern angewendet.
Mit der vorliegenden Entscheidung hat der Zweite Senat entgegen der bisherigen Rechtsprechung entschieden. Ein Geschäftsführer, der nicht Mehrheitsgesellschafter der GmbH ist und zu ihr in keinem Arbeitsverhältnis steht, kann sich nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB berufen. Vielmehr ist § 621 BGB anzuwenden. Der Senat begründet dies mit dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 622 BGB idF vom 15.10.1993. Der gesetzliche Gegensatz liegt nun in der Typik "Arbeitsverhältnis § 622 BGB – Dienstverhältnis § 621 BGB" und nicht mehr "Dienste höherer Art" § 622 BGB – Arbeitsverhältnis § 621 BGB. Mit der ab 15.10.1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB hat der Gesetzgeber die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an "Arbeitsverhältnisse" betont. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, ...