I. Überblick
Der BGH hat in seinem Urteil vom 10.6.2021 (IX ZR 76/20, AGS 2021, 521, VersR 2021, 1024 = NJW 2021, 2589 = MDR 2021, 1067 = JurBüro 2021, 429) bestätigt, dass der Anspruch auf Rückzahlung nicht verbrauchter Gerichtskosten nicht dem Quotenvorrecht unterliegt. Damit hat er die bisherige h.M. (AG Kempten AGS 2011, 363 = JurBüro 2011, 269 = NJW-Spezial 2011, 381 = RVGreport 2011, 400; LG Heilbronn AGS 2016, 104 = NJW-Spezial 2016, 92; AG Lingen NJW-Spezial 2021, 284) bestätigt und der Gegenauffassung (AG Wetzlar AGS 2007, 115) eine Absage erteilt.
Darüber hinaus hat der BGH klargestellt, dass ein Rechtsschutzversicherer nicht verbrauchte Gerichtskosten, die von der Gerichtskasse an den Anwalt ausgezahlt worden sind, von diesem aus übergegangenem Recht unmittelbar herausverlangen kann. Die Konsequenzen, die diese Entscheidung für die Praxis hat, sind bislang kaum beachtet worden. Sie sollen anhand eines praktischen Ausgangsfalls mit Abwandlungen in folgendem Beitrag dargestellt werden.
II. Ausgangsfall
Der rechtsschutzversicherte Kläger klagt, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, gegen den Beklagten auf Zahlung von 10.000 EUR. Der Rechtsschutzversicherer des Klägers zahlt die fällige 3,0-Gerichtsgebühr (Nr. 1210 GKG-KostVerz.) i.H.v. 798 EUR bei Gericht ein und übernimmt darüber hinaus auch die Anwaltskosten des Klägers, allerdings abzüglich einer Selbstbeteiligung i.H.v. 250 EUR. Im Termin zur mündlichen Verhandlung schließen die Parteien sodann einen Vergleich, in dem die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden.
Es ergibt sich jetzt folgende Rechtslage:
- Aufgrund des Vergleichs hat sich die 3,0-Gerichtsgebühr der Nr. 1210 GKG-KostVerz. gem. Nr. 1211 Nr. 3 GKG-KostVerz. auf 1,0 ermäßigt, sodass die Landeskasse eine 2,0-Gebühr i.H.v. 532 EUR zurückzahlen muss.
- Darüber hinaus kann der Kläger die bei ihm verbliebene 1,0-Gerichtsgebühr hälftig, also i.H.v. 133 EUR, vom Beklagten erstattet verlangen und gegen ihn nach den §§ 103 ff. ZPO festsetzen lassen.
III. Die Gerichtskosten sind noch nicht ausgezahlt
Abwandlung 1:
Die Landeskasse hat die 2,0-Gerichtsgebühr noch nicht zurückgezahlt. Die 133 EUR sind gegen die Beklagte bereits festgesetzt, aber noch nicht erstattet. Der Kläger hat die Selbstbeteiligung bereits an den Anwalt gezahlt.
Eindeutig ist, dass der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung der hälftigen Gerichtsgebühr i.H.v. 133 EUR nicht auf den Rechtsschutzversicherer übergeht. Es handelt sich insoweit um einen Ersatzanspruch i.S.d. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG. Der Übergang darf nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers erfolgen (§ 86 Abs. 1 S. 2 VVG). Das wäre aber der Fall, wenn der Anspruch übergehen würde, weil der Kläger aufgrund der Selbstbeteiligung 250 EUR selbst zahlen muss und sich insoweit gem. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG vor dem Rechtsschutzversicherer an der Kostenerstattung bedienen darf (AG Bonn, Urt. v. 17.11.1998 – 2 C 226/98, BRAGOreport 2000, 31; veröffentlicht auf https://www.justiz.nrw; Harbauer/Schneider, ARB, 6. Aufl. 2018, § 17 ARB 2010 Rn 170 ff.; van Bühren, ARB, 3. Aufl. 2013, § 5 Rn 106, 171; K. Schneider, Rechtsschutzversicherung für Anfänger, 2. Aufl. 2017, Rn 476 ff.). Der Kläger darf also die Kostenerstattung beim Beklagten einziehen und behalten
Anders verhält es sich mit dem Anspruch auf Rückzahlung der nicht verbrauchten 2,0-Gerichtsgebühr. Nach der Entscheidung des BGH geht dieser Anspruch nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer über, ohne dass das Quotenvorrecht nach § 86 Abs. 1 S. 2 VVG greift. Danach stehen die nicht verbrauchten Gerichtskosten i.H.v. 532 EUR dem Rechtsschutzversicherer zu und sind an diesen auszuzahlen.
Fazit:
Anwalt hat vom Kläger die Selbstbeteiligung erhalten |
250,00 EUR |
RSV erhält von der Gerichtskasse |
532,00 EUR |
Kläger (...) |
|
(...) erhält vom Gegner |
133,00 EUR |
(...) hat an Anwalt auf die Selbstbeteiligung gezahlt |
- 250,00 EUR |
Summe: |
- 117,00 EUR |
IV. Die Gerichtskosten sind bereits an den Versicherungsnehmer ausgezahlt worden
Abwandlung 2:
Die Landeskasse hat die nicht verbrauchte 2,0-Gerichtsgebühr i.H.v. 532 EUR bereits unmittelbar an den Kläger ausgezahlt. Die 133 EUR sind gegen den Beklagten bereits festgesetzt, aber noch nicht erstattet. Der Kläger hat die Selbstbeteiligung bereits an den Anwalt gezahlt.
Hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs gegen den Beklagten i.H.v. 133 EUR ändert sich nichts. Diese Forderung darf der Kläger einziehen und behalten (Quotenvorrecht).
Hinsichtlich der von der Gerichtskasse an den Kläger ausgezahlten 532 EUR ergibt sich jetzt nach der Entscheidung des BGH ein unmittelbarer Anspruch des Rechtsschutzversicherers gegen den Kläger, da dieser die Rückzahlung erhalten hat, die dem Rechtsschutzversicherer zu stand und an der der Kläger kein Quotenvorrecht geltend machen kann. Der Kläger muss also die vereinnahmten 532 EUR an den Rechtschutzversicherer auszahlen, wobei offenbleiben kann, ob sich der Anspruch unmittelbar aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag ergibt oder aus Bereicherungsrecht. Ein Quotenvorrecht kann der Kläger an den 532 EUR jedenfalls nicht geltend machen.
Fazit: