Mietspiegel sind keine prozessualen Beweismittel. Einfache Mietspiegel können u.U. als Indiz im Zustimmungsprozess verwendet werden (BGH WuM 2021, 442, GE 2021, 817, MDR 2021, 922, NJW-RR 2021, 1017, NZM 2021, 650, ZMR 2021, 727, DWW 2021, 298, m. Anm. Herlitz, jurisPR-MietR 15/2021 Anm. 1; Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 14/2021 Anm. 2; Riecke, MietRB 2021, 193; BGH GE 2020, 49, WuM 2021, 38, NJW-RR 2021, 76, NZM 2021, 88, MDR 2021, 551, DWW 2021, 289 m. Anm. Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 2/2021 Anm. 2; Kunze, MietRB 2021, 33; Beyer, jurisPR-MietR 4/2021 Anm. 1; Börstinghaus, LMK 2021, 437146. Für qualifizierte Mietspiegel gilt seit 2001 gem. § 558d Abs. 3 BGB eine Vermutungswirkung wonach die in ihm angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben. Die Regelung ist auf den ersten Blick einfach und praktikabel aber, wie sich inzwischen deutlich gezeigt hat, teilweise konfliktträchtig (BGH NJW 2013, 775; NJW 2014, 292; AG Mainz BeckRS 2013, 11862; Blank, PiG 62 (2002), 17 (25)). Insbesondere die Beweislast für die Vermutungsgrundlage machte den Mietern das Berufen auf die Vermutungswirkung wenig hilfreich. Sie mussten die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze beweisen. Auch wenn hierzu zunächst der Vermieter „Zweifel sähen musste”, haben insb. renditeorientierte Großvermieter immer wieder versucht qualifizierte Mietspiegel „kaputtzuschreiben”, um höhere Mieten zu erhalten. Deshalb gab es seit ca. fünf Jahren Überlegungen in der Politik und im BMJV, wie man das ändern könnte. Herausgekommen ist jetzt eine doppelte Vermutungswirkung.
Um dieses Dilemma zu lösen und es Mietern einfacher zu machen, sich gegenüber einem Mieterhöhungsverlangen, mit dem der Vermieter eine über den Werten des Mietspiegels liegende Miete verlangt, zu verteidigen, hat der Gesetzgeber zwei weitere neue Vermutungen geschaffen. Es bleibt nämlich bei der Grundentscheidung, dass derjenige die Vermutungsgrundlagen beweisen muss, der sich auf die Vermutungsfolge beruft. Das ist regelmäßig der Mieter, wenn der Vermieter eine über den Werten des qualifizierten Mietspiegels liegende Miete verlangt.
Erste Neue Vermutung:
Dass der Mietspiegel nach den anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen der Mietspiegelerstellung aufgestellt wurde und damit die Vermutungsgrundlage nach § 558d Abs. 3 BGB gegeben ist, wird nunmehr bereits dann vermutet, wenn bei der Erstellung des Mietspiegels die Vorgaben der Mietspiegelverordnung (MsV) eingehalten wurden. In dieser Verordnung werden Mindeststandards definiert (s.u.). Der Mieter muss also „nur noch” beweisen, dass der Mietspiegel diese Mindeststandards der MsV erfüllt. Deren Vorgaben sind viel „greifbarer” als die der anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze.
Zweite Neue Vermutung:
Auch wenn diese erste Vermutung durch Gutachten leichter nachzuweisen sein dürfte als die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze, geht es weiterhin um fachspezifische Fragen der Empirik und Statistik. Um dem Mieter auch hier eine weitere Erleichterung zu verschaffen, hat der Gesetzgeber eine zweite Vermutung geschaffen. Vermutungsgrundlage ist hier nur, dass die Gemeinde und jeweils ein Interessenverband der Vermieter und der Mieter den örtlichen Mietspiegel als qualifizierten Mietspiegel anerkannt haben. In diesem Fall wird vermutet, dass dieser Mietspiegel den anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen der Mietspiegelerstellung entspricht. Der Mieter muss als Vermutungsgrundlage also nur die Anerkennung des örtlichen Mietspiegels als qualifiziert durch die aufgeführten drei Beteiligten darlegen.
Damit die Vermutungswirkung des § 558d Abs. 3 BGB gilt, muss der Mieter:
a) |
(wie bisher) die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze der Mietspiegelerstellung beweisen, oder |
b) |
beweisen, dass die Vorgaben der MsV eingehalten wurden, oder |
c) |
beweisen, dass die Gemeinde und jeweils ein Interessenverband der Vermieter und Mieter den Mietspiegel als qualifiziert anerkannt haben. Es ist nicht die Zustimmung aller Interessenverbände auf jeder Seite erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn auf einer Seite mehrere Verbände, ggf. unterschiedlicher Größe, vorhanden sind. Es genügt die Zustimmung je eines Interessenverbands (OLG Hamm NJW-RR 1991, 209; LG Berlin WuM 2016, 670). Der Begriff „Interessenverband” setzt dabei vom Wortlaut bereits voraus, dass es sich um den Zusammenschluss von mind. zwei Mitgliedern handeln muss. Der Interessenverband muss auf der anderen Seite auch nicht alle Vermieter oder Mieter vertreten. |
Hinweis:
Im Prozess gilt dieses Stufenverhältnis in umgekehrter Reihenfolge. Gelingt dem Mieter der Beweis zu c) nicht, kann er noch den nach b) erbringen oder letztendlich den nach a).
Liegt eine der Vermutungsgrundlagen vor, kann der Vermieter immer noch gem. § 292 ZPO das Gegenteil beweisen. Auch hierfür ist ein Vollbeweis erforderlich. Er ist dann geführt, wenn die Unwahrheit der vermuteten Tatsache voll bewiesen ist. Der Beweis des Gegenteils ist dann nicht erford...