Die Nachteile für den Mieter müssen „nicht zu rechtfertigen” sein, d.h. insb. deutlich über die kündigungstypischen Belastungen wie Mühe und Kosten der Ersatzwohnungssuche, den Umzug, die Her- und Einrichtung der neuen Wohnung hinausgehen, da ein in durchschnittlichen Verhältnissen lebender Mieter diese hinnehmen muss (BGH, Urt. v. 22.5.2019 – VIII ZR 167/17, WuM 2019, 454). Diese besonderen Härtegründe sind in einer umfassenden Einzelfallwürdigung des Tatrichters gegen die berechtigten Interessen des Vermieters an einer Beendigung des Mietverhältnisses abzuwägen, wobei eine Gesamtbewertung vorzunehmen ist, die eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich machen kann (Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 75). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist zunächst der Zugang des Widerspruchs beim Vermieter, zudem muss der Härtegrund bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortbestehen und im Falle eines Räumungsrechtsstreits auch noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz andauern (BGH, Urt. v. 22.5.2019 – VIII ZR 167/17, NZM 2019, 527). Ist ein Härtegrund zum letztgenannten Zeitpunkt bereits weggefallen oder zeichnet sich mit hinreichender Sicherheit ab, dass er in nächster Zeit wegfällt, kann er nicht mehr berücksichtigt werden (LG Oldenburg, Urt. v. 17.10.1990 – 9 S 1307/89, DWW 1991, 240).
Praxistipp:
Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2021 (Urt. v. 3.2.2021 – VIII ZR 68/19, NZM 2021, 361) nochmals betont, dass die Interessenabwägung stets einzelfallbezogen auszufallen hat und dass es angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse unzulässig ist, bestimmten Belangen der Mietparteien kategorisch ein größeres Gewicht beizumessen als denen der Gegenseite. Als Konsequenz dieser Entscheidung kann eine aufwändige Beweisaufnahme mit Zeugeneinvernahmen und Sachverständigengutachten erforderlich sein, um die Anknüpfungstatsachen der Interessenabwägung zur Überzeugung des Tatrichters darzulegen. Vor allem bei der Eigenbedarfskündigung liegt es regelmäßig im besonderen Interesse des Vermieters, möglichst bald die gekündigte Wohnung beziehen zu können. Zu Vermeidung eines ggf. über zwei Jahre dauernden erstinstanzlichen Rechtsstreits kann es daher sachgerecht sein, eine Umzugskostenbeihilfe vergleichsweise an den Mieter zu bezahlen, um einen Räumungsvergleich zu erzielen, da erfahrungsgemäß in vielen Fällen mieterseits vorgetragene Härtegründe bei ausreichender finanzieller Kompensation einem Räumungsvergleich nicht entgegenstehen.
Inhaltlich muss das Tatgericht zu einem Überwiegen der Mieterinteressen über die berechtigten Vermieterinteressen gelangen. Führt die Interessenabwägung zu keinem eindeutigen Ergebnis, scheidet nach vorzugswürdiger Auffassung einer Fortsetzung des Mietverhältnisses aus (Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 64 m.w.N. zur Gegenauffassung). Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 9.11.2005 – VIII ZR 339/04, NZM 2006, 50) ist ein Wegfall des Eigenbedarfs nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu berücksichtigen, danach hat er keine Auswirkung mehr auf die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung. Da es für die persönliche Härte des Mieters aber auf die letzte mündliche Tatsachenverhandlung ankommt, kann ein Wegfall des Eigenbedarfsgrundes nach Ablauf der Kündigungsfrist dazu führen, dass ein überwiegendes Interesse des Mieters an einer Fortsetzung des Mietverhältnisses besteht (völlig zu Recht Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 64a).