Nach § 721 ZPO kann dem zur Räumung von Wohnraum verurteilten Mieter auf Antrag oder von Amts wegen, eine angemessene Räumungsfrist von bis zu einem Jahr gewährt werden. § 721 ZPO ist die Reaktion auf den Verlust des Lebensmittelpunkts des Wohnraummieters und bezweckt, die Gewährung der erforderlichen Zeit für den Mieter, in angemessenen Wohnraum umziehen zu können (MüKo-ZPO/Götz, a.a.O., § 721 ZPO Rn 1). Schutzzweck von § 721 ZPO ist dabei die Bewahrung des Wohnraummieters vor einer Obdachlosigkeit. Über die Gewährung einer Räumungsfrist entscheidet als „Annex” das Hauptsachegericht (§ 721 Abs. 1, Abs. 4 ZPO).
1. Überblick und generelle Voraussetzungen
§ 721 Abs. 1 u. Abs. 2 ZPO regeln die erstmalige Gewährung einer Räumungsfrist, wobei Abs. 2 die Fälle einer künftigen Räumung nach § 259 ZPO betrifft. § 721 Abs. 3 ZPO betrifft die Abänderung einer gewährten Räumungsfrist, § 721 Abs. 4 und 6 ZPO regeln das einzuhaltende Verfahren, § 721 Abs. 5 ZPO begrenzt die Räumungsfrist auf maximal ein Jahr, und § 721 Abs. 7 ZPO schließt bestimmte Wohnräume vom Anwendungsbereich aus. Alle Regelungen setzen voraus, dass auf Räumung von Wohnraum erkannt wurde, wobei die Wortbedeutung vor dem Hintergrund des oben dargestellten Schutzzwecks weit auszulegen ist. Erfasst sind daher alle Mietverhältnisse über Räume, die tatsächlich Wohnzwecken dienen, auch wenn sich der Mieter darin nicht mehr aufhält (BGH, Urt. v. 11.12.2020 – V ZR 26/20, MDR 2021, 156 Tz. 12). Unerheblich ist also, ob der Mieter die Räume vertraglich als Wohnung nutzen durfte, da allein die faktische Wohnraumnutzung geschützt wird, sodass auch der Mieter von Geschäftsräumen, der vertragswidrig die Räume als Wohnung nutzt, eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO verlangen kann (OLG Köln, Beschl. v. 1.7.1996 – 2 W 102/96, NJWE-MietR 1996, 246). Bei einem Mischmietverhältnis ist nach allgemeinen Grundsätzen (sog. Schwerpunkttheorie) danach abzugrenzen, welche Nutzungsart überwiegt (BGH, Urt. v. 9.7.2014 – VIII ZR 376/13, MDR 2014, 1017).
2. Nichtanwendbarkeit nach § 721 Abs. 7 ZPO
Räumungsschutz ist ausgeschlossen bei der Vollstreckung eines Räumungsurteils bzgl. eines Mietverhältnisses über Wohnraum, den eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein anerkannter privater Träger der Wohlfahrtspflege zur Überlassung an Personen mit dringendem Wohnungsbedarf angemietet hat, sofern der Mieter hierauf bei Vertragsschluss hingewiesen wurde. Insoweit werden Mietverhältnisse nach § 549 Abs. 2 Nr. 3 BGB erfasst, wobei nur der Weitervermietungsvertrag an den konkreten Bewohner gemeint ist (Zöller/Seibel, 34. Aufl. 2022, § 721 ZPO Rn 14). Zudem ist § 721 ZPO unanwendbar, wenn es sich um einen Zeitmietvertrag nach § 575 Abs. 1 S. 1 BGB handelt. Das gilt auch für Fälle unwirksamer Befristungsabreden, § 721 Abs. 7 ZPO ist insoweit nicht analog anzuwenden (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, a.a.O., § 721 ZPO Rn 10).
3. Vorliegen eines Räumungstitels
§ 721 ZPO setzt voraus, dass das Tatgericht auf Räumung von Wohnraum erkannt hat. Der Wortlaut scheint den Anwendungsbereich daher auf Räumungsurteile im engeren Sinn zu beschränken, mithin auf Entscheidungen, die den Mieter nicht nur zur Besitzherausgabe der Mieträume (Herausgabe), sondern auch zum Wegschaffen der gesamten Wohnungseinrichtung verpflichten (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, a.a.O., § 721 ZPO Rn 11 u. Einleitung Räumungsvollstreckung Rn 1). Das Verständnis von „Räumung” bei § 721 ZPO ist jedoch im Lichte des Eingangs dargestellten Normzwecks, den Wohnraummieter vor Obdachlosigkeit zu bewahren, weit auszulegen, sodass jede nach § 885 ZPO zu vollstreckende Entscheidung ausreicht, mithin auch reine Herausgabeurteile erfasst werden (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, a.a.O., § 721 ZPO Rn 11). Versäumnisurteile sind gleichermaßen wie Anerkenntnisurteile erfasst (BeckOK-Mietrecht/Fleindl, 33. Edition, Stand 1.5.2021, Zwangsvollstreckung Rn 116). Auf gerichtliche Räumungsvergleiche findet nicht § 721 ZPO, sondern § 794a ZPO Anwendung, da dabei vertragliche Regelungen der Mietparteien vorliegen.
Umstritten ist, ob § 721 ZPO auch bei einer einstweiligen Räumungsverfügung nach § 940a ZPO Anwendung findet. Nach einer Auffassung soll dies der Fall sein, da es sich auch beim Verfahren nach § 940a ZPO um ein summarisches Erkenntnisverfahren handele, bei welchem als Annex die Entscheidung über eine Räumungsfrist sachgerecht und daher durchzuführen sei (so Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, a.a.O., § 721 ZPO Rn 14). Richtig dürfte es sein, § 721 ZPO i.R.d. Räumungsverfügung nicht anzuwenden. Unabhängig von der Frage der gemeinsamen Entscheidung aufgrund von Sachnähe steht schon das einstweilige Verfügungsverfahren mit der inkorporierten besonderen Eilbedürftigkeit der Gewährung einer Räumungsfrist grds. entgegen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung von § 940a ZPO die grds. Entscheidung getroffen, auch im Bereich des grundrechtssensiblen Bereichs der Wohnraummiete eine Räumungsregelungsverfügung zuzulassen, die als Folge eine Räumungsverpflichtung des Mieters haben kann und die ohne mündliche Verhandlung ohne Beschluss ergehen kann. Die Möglichkeit der...