Das BVerfG geht zudem davon aus, dass die Anwendung des § 362 Nr. 5 StPO auf Verfahren, die bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung durch rechtskräftigen Freispruch abgeschlossen waren, das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Es liege ggf. eine „echte” Rückwirkung vor, die auch nicht ausnahmsweise zulässig sei. Die Regelung des § 362 Nr. 5 StPO erfasse nämlich auch Freisprüche, die bereits vor ihrem Inkrafttreten am 30.12.2021 in Rechtskraft erwachsen seien. Eine andere Auslegung der ohne Übergangsbestimmungen erlassenen Norm komme angesichts des deutlich erkennbaren Willens des Gesetzgebers nicht in Betracht. Die Gesetzesbegründung nehme gerade auf den Fall Frederike von Möhlmann und die vom Vater des Opfers mitinitiierte Petition an den Deutschen Bundestag ausdrücklich Bezug. Die Erstreckung auf Freisprüche, die bereits vor Inkrafttreten des § 362 Nr. 5 StPO rechtskräftig geworden seien, stelle eine „echte” Rückwirkung i.S.d. in der Rechtsprechung vorausgesetzten „Rückbewirkung von Rechtsfolgen” dar. Im Strafverfahren enthalte ein Freispruch den abschließenden Aussagegehalt, dass sich der Tatverdacht, der dem Strafverfahren zugrunde lag, nicht bestätigt hat. Der geregelte Lebenssachverhalt, an den eine gesetzliche Neuregelung der Wiederaufnahme Rechtsfolgen knüpft, sei das Verfahren, nicht aber der zugrunde liegende, den Verfahrensgegenstand prägende tatsächliche Sachverhalt. Daher ändere die Wiederaufnahme aufgrund einer Norm, die erst nachträglich in Kraft tritt, die Rechtsfolgen eines Freispruchs.
Diese „echte” Rückwirkung ist auch nicht ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig. Eine Ausnahme folge nicht aus der Unverjährbarkeit der von § 362 Nr. 5 StPO erfassten Delikte. Unerheblich sei auch, ob der Betroffene zum Zeitpunkt seines Freispruchs gewusst habe, dass das Urteil materiell-rechtlich falsch war. Die vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 362 Nr. 5 StPO insgesamt beabsichtigte Verwirklichung des Prinzips der materialen Gerechtigkeit verdränge die zentrale Bedeutung der Rechtssicherheit für den Rechtsstaat nicht. Der Freispruch eines möglicherweise Schuldigen und der Fortbestand dieses Freispruchs seien unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls nicht „unerträglich”, sondern vielmehr Folgen einer rechtsstaatlichen Strafrechtsordnung, in der der Zweifelsgrundsatz eine zentrale Rolle spiele.