Zusammenfassung
Amtlicher Leitsatz:
Ein Verlust des Ablehnungsrechts tritt nicht dadurch ein, dass sich eine Partei nach Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit auf die weitere Verhandlung einlässt.
BGH, Beschl. v. 26.4.2016 – VIII ZB 47/15 = ZAP EN-Nr. 841/2016
Bearbeiter: RiAG Dr. Uwe Grohmann, Hamburg und Ri’in Dr. Nancy Grohmann, Norderstedt
I. Einleitung
Besteht in einem Zivilverfahren gegen einen Richter die Besorgnis der Befangenheit, steht es jeder Partei frei, den Richter abzulehnen. Der allgemeinen Prozessförderungspflicht der Parteien und dem Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit entspricht es dabei, dieser Dispositionsfreiheit der Parteien eine zeitliche Grenze zu setzen, um zu vermeiden, dass bereits erfolgte Verfahrenshandlungen rückwirkend nutzlos werden. Eine Partei kann daher gem. § 43 ZPO einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Hieraus wurde zum Teil geschlossen, dass das Ablehnungsrecht auch nach erfolgter Ablehnung verloren geht, wenn die Partei sich auf das weitere Verfahren einlässt. Dieser Ansicht ist der BGH nun entgegengetreten.
II. Sachverhalt
Der Richter des erstinstanzlich entscheidenden Amtsgerichts wies im Termin zur mündlichen Verhandlung die klagende Partei darauf hin, dass es die Klage auf Zahlung von Schadensersatz mit der bisherigen Begründung für unschlüssig halte, dass sich allerdings, wenn sich der Kläger den Vortrag der Beklagten zu eigen mache und eine bestimmte Zahlung eines Dritten an die Beklagte nach § 185 BGB genehmige, durchaus ein Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB ergeben könne. Aufgrund dieses "Tipps" lehnte die Beklagte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Beide Parteien erklärten anschließend zu Protokoll ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren, woraufhin der Richter verkündete, zunächst die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch abzuwarten. Das Amtsgericht wies das Ablehnungsgesuch später als unbegründet zurück. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte sofortige Beschwerde bei dem Landgericht wurde ebenfalls zurückgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe ihr Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO verloren, weil sie einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt hat, nachdem sie ihr Ablehnungsgesuch angebracht hatte. Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen.
III. Problemaufriss
Der zugrunde liegende Sachverhalt wirft die in Literatur und Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beantwortete Frage der Abgrenzung zweier zentraler Regelungen des Ablehnungsrechts auf. Einerseits kann nach dem durch das erste Justizmodernisierungsgesetz (Erstes Gesetzes zur Modernisierung der Justiz v. 24.8.2004, BGBl I, S. 2198) eingefügten § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO der Termin, wenn ein Richter während der Verhandlung abgelehnt wird und die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung erfordern würde, unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden. Andererseits kann eine Partei nach § 43 ZPO einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.
Hieraus schließt ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur, dass das Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO grundsätzlich auch dann entfallen soll, wenn sich eine Partei nach Anbringen des Gesuchs der weiteren Verhandlung nicht verweigert (OLG München MDR 1954, 552; OLG Düsseldorf OLGR 2001, 373; MüKo-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 43 Rn 7; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 43 Rn 3). Danach stelle § 43 ZPO die unwiderlegliche Vermutung auf, dass die Partei, die sich trotz bekannten Ablehnungsgrundes auf die Verhandlung einlässt, mit der Person des Richters einverstanden sei. Nach gegenteiliger Auffassung sei es demgegenüber grundsätzlich unschädlich, wenn sich eine Partei auf eine mündliche Verhandlung einlässt, nachdem sie den Befangenheitsgrund durch das Anbringen eines entsprechenden Antrags geltend gemacht hat (OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.12.2015 – 8 W 52/15; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 43 Rn 6).
IV. Entscheidung
Mit zutreffender Begründung hat sich der BGH der letztgenannten Auffassung angeschlossen. Ein Verlust des Ablehnungsrechts tritt danach nicht ein, wenn sich die Partei nach Ablehnung des Richters auf die weitere Verhandlung einlässt. Dies entspricht sowohl dem Wortlaut als auch dem Zweck des § 43 ZPO und berücksichtigt zudem den Regelungsgehalt des § 47 Abs. 2 ZPO.
§ 43 ZPO regelt seinem Wortlaut nach nämlich nur den Fall, dass die Partei trotz Kenntnis des Ablehnungsgrundes – zunächst – darauf verzichtet, diesen geltend zu machen und sich auf die weitere Verhandlung einlässt. In einem solchen Fall erscheint es gerechtfertigt, eine Partei, die an der Unbefangenheit des Richters zweifelt, anzuhalten, diese Zweifel alsbald kundzutun, wodurch ihr u.a. die Möglichkeit genommen werden soll, einen Rechtsstreit wil...