Seit längerem haben wir nichts zur Frage der Verlesbarkeit von Erklärungen des Angeklagten gehört (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 2934 ff.). Eine Entscheidung des OLG Koblenz (Beschl. v. 12.5.2016 – 2 OLG 4 Ss 54/16, StRR 8/2016, S. 2 [Ls.]) greift die Problematik wieder auf. Nach dem Sachverhalt war der Anklagte u.a. wegen Diebstahls durch Fällen von Bäumen und Wegnahme und Zueignung ihres Holzes verurteilt worden. Hiergegen hat er Revision eingelegt, die er mit folgendem Verfahrensgeschehen begründet hat: Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung und zuvor auch im Ermittlungsverfahren Angaben zur Sache verweigert. In der Berufungshauptverhandlung wurden zwei bei der Akte befindliche Schriftsätze seines Verteidigers auszugsweise verlesen. In einem an das Forstamt N. gerichteten Schriftsatz hatte der Verteidiger für den Angeklagten erklärt, dieser bedauere den Vorfall zutiefst und wolle sich für sein Verhalten entschuldigen; er habe ihn (den Verteidiger) gebeten abzuklären, inwieweit die Gegenseite zur Mitwirkung an einem Täter-Opferausgleich bereit sei. An die Staatsanwaltschaft gerichtet, hatte der Verteidiger "namens und im Auftrag" des Angeklagten mitgeteilt, dass dieser die Tatbegehung dem Grunde nach nicht bestreite. Beide Schriftsätze hat das LG in dem angefochtenen Urteil seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg.
Das OLG (a.a.O.) attestiert dem LG einen Verstoß gegen § 250 S. 2 StPO. Die schriftsätzlichen Ausführungen des Verteidigers, in denen er Angaben des Angeklagten wiedergebe, seien hier nicht als schriftliche Erklärung des Angeklagten verlesbar gewesen (vgl. BGHSt 39, 305 Ls. 1). Es sei anerkannt, dass schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte im anhängigen Verfahren zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgebe, verlesen werden können, selbst wenn er später Angaben verweigere. Denn das Gesetz lasse den Urkundenbeweis zu, wo es ihn nicht ausdrücklich untersage (BGHSt 39, 305, 306; 20, 160, 162; 27, 135, 136). Das gelte jedoch nur für schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte selbst abgegeben habe. Habe er sich gegenüber einer anderen Person geäußert und diese die Äußerung schriftlich festgehalten, so handele es sich bei der Wiedergabe um die Erklärung dieser Person; sie schreibe nieder, was sie als Äußerung des Angeklagten wahrnehme. Gehe es um die Feststellung, ob der Angeklagte das schriftlich Niedergelegte geäußert habe, so sei die niederschreibende Person über ihre Wahrnehmung bei der Unterredung mit dem Angeklagten zu vernehmen (§ 250 StPO). Nichts anderes gelte, wenn die niederschreibende Person der Verteidiger sei (BGHSt 39, 305, 306; NStZ 2002, 555; OLG Celle NStZ 1988, 426). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich des Verteidigers nur "als Schreibhilfe" bedient habe (vgl. hierzu BGHSt 39, 305, 307; NStZ 2002, 555), bestünden nicht. Es handele sich um die nach Gewährung von Akteneinsicht an den beauftragten Verteidiger "namens und im Auftrag des Angeklagten" erfolgte pauschale Mitteilung, dass dieser die Tatbegehung dem Grunde nach nicht bestreite, bei der ein Einfluss von eigenen Überlegungen des Verteidigers oder Missverständnissen jedenfalls nicht auszuschließen sei. Hinzukomme, dass der Verteidiger sich – wie die Urteilsgründe ausdrücklich ausführen – im Schlussvortrag darauf berufen habe, in den Schriftsätzen habe der Angeklagte die Tatverantwortung für eine andere Person übernommen.
Ebenso wenig sei durch eine Erklärung des Angeklagten oder des Verteidigers klargestellt worden, dass der Angeklagte die in den Schriftsätzen enthaltenen Äußerungen als eigene Einlassung verstanden wissen wollte (vgl. BGH NStZ 2002, 555; NStZ 1990, 447). Aus dem Umstand, dass weder der Angeklagte noch der Verteidiger der Verlesung der Schriftsätze widersprochen hätten, könne auf eine solche Zustimmung nicht geschlossen werden (vgl. BGH NStZ 2002, 555). Ihr stünden auch die Ausführungen des Verteidigers im Schlussvortrag entgegen.
Hinweis:
Da es um die Feststellung ging, ob der Angeklagte das schriftlich Niedergelegte geäußert hat, wäre – so zutreffend das OLG (a.a.O.) – der Verteidiger als Zeuge zu vernehmen gewesen (BGHSt 39, 305; NStZ 2002, 555; OLG Celle a.a.O.).