Im vergangenen Jahr hatten wir an dieser Stelle über den Fall einer Assessorin berichtet, der die Zulassung zur Anwaltschaft wegen "Unwürdigkeit" versagt worden war. Sie hatte ihr zweites Staatsexamen 2014 bestanden, war dann jedoch sowohl vor dem AGH NRW als auch anschließend vor dem Anwaltssenat des BGH mit dem Vorhaben gescheitert, die von der örtlichen Anwaltskammer abgelehnte Rechtsanwaltszulassung doch noch gerichtlich durchzusetzen. Alle mit dem Fall befassten Instanzen hielten die von ihr während mehrerer Ausbildungsstationen begangenen Beleidigungen gegenüber Ausbildern für so gravierend, dass "Unwürdigkeit" i.S.d. § 7 BRAO anzunehmen sei (vgl. näher ZAP Anwaltsmagazin 17/2016, S. 888).
Das jetzt von der Assessorin angerufene BVerfG sah dies jedoch anders und gab einer Verfassungsbeschwerde der Assessorin statt (vgl. Beschl. v. 22.10.2017 – 1 BvR 1822/16). Zwar hielten die Verfassungsrichter die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Würdigung der für und gegen die Beschwerdeführerin sprechenden Umstände zur Beurteilung ihrer Gesamtpersönlichkeit für zutreffend. Insbesondere habe ihr ihre – anhaltende – fehlende Unrechtseinsicht bei der Entscheidung über die Anwaltszulassung entgegengehalten werden dürfen. Der Senat bemängelte jedoch, dass eine Abwägung der grundrechtlichen Belange der Beschwerdeführerin mit den ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entgegenstehenden Gemeinwohlbelangen nicht stattgefunden habe.
Bei der Versagung der Rechtsanwaltszulassung reiche eine Würdigung der Persönlichkeit des Antragstellers mit der nicht näher begründeten Schlussfolgerung, dass er für den Anwaltsberuf untragbar sei, nicht aus. Vielmehr bedürfe es zusätzlich einer Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit. Im konkreten Fall hätte insbesondere näher ausgeführt werden müssen, dass und warum davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Zulassung als Rechtsanwältin in einer Art und Weise auftreten würde, die das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft insbesondere im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege beinträchtigen könnte, sei es, dass Gerichte Rechtsstreitigkeiten nicht mehr zielgerichtet und zweckmäßig betreiben oder aber die Rechtsuchenden eine vertrauenswürdige Rechtsberatung und Vertretung im Rechtsstreit nicht erlangen könnten.
Damit folgten die Verfassungsrichter zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begründung der Auffassung des Deutschen Anwaltvereins, der Anfang dieses Jahres zu dem Verfahren Stellung bezogen hatte. Darin führten die Berufsrechtsexperten des Vereins aus, dass die Beleidigung der Ausbilder im Referendariat unter keinem Gesichtspunkt zu einem Berufsverbot hätte führen dürfen. Insbesondere könne ein Verhalten, das bei einem bereits zugelassenen Rechtsanwalt keinen Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft zur Folge habe, auch nicht den Versagungsgrund der Unwürdigkeit nach § 7 Nr. 5 BRAO begründen.
Diesem Argument folgten die Verfassungsrichter nicht, sie vermissten lediglich die Prognoseentscheidung im Hinblick auf das Verhalten nach einer Zulassung. Der Fall wurde daher an den AGH NRW zurückverwiesen, der die versäumten Erwägungen jetzt nachholen muss. Für die Beschwerdeführerin heißt es deshalb, weiter abzuwarten. Die zuständige Rechtsanwaltskammer Köln hat übrigens bereits angekündigt, weiter an ihrer Rechtsauffassung festhalten zu wollen und gegen eine Zulassung der Assessorin zu kämpfen.
[Red.]