Eine Gesetzesänderung ist für die Rechte schwerbehinderter Menschen, die erwerbstätig sind, von besonderer Bedeutung: Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist nunmehr ohne die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (vgl. dazu § 94 SGB IX) unwirksam (§ 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX), d.h. die Kündigung beendet in diesen Fällen das Arbeitsverhältnis nicht. Bislang war für den Fall, dass die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unterblieben war, lediglich die Durchführung oder Vollziehung der getroffenen Entscheidung auszusetzen und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung binnen sieben Tagen nachzuholen (§ 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX a.F.). Auf die Wirksamkeit der Kündigung hatte die fehlende Beteiligung hingegen keine Auswirkungen. Zur Begründung dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber zutreffend darauf hingewiesen, dass gerade für schwerbehinderte Menschen der Bestand ihres Arbeitsverhältnisses von herausragender Bedeutung und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung damit von besonderer Wichtigkeit ist (BT-Drucks 18/10523, S. 67).
Da der Gesetzeswortlaut von "Kündigung" spricht, sind alle Arten von Kündigung erfasst, also neben der fristgerechten auch die fristlose oder eine Änderungskündigung (§ 2 KSchG).
"Beteiligung" der Schwerbehindertenvertretung bedeutet nach § 95 Abs. 3 S. 1 SGB IX, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, und umfassend zu unterrichten und vor der Entscheidung anzuhören hat; ebenso hat er ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. "Unverzüglich" bedeutet, dass der Arbeitgeber in dem Zeitpunkt, in dem er sich zur Kündigung entschlossen hat, die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten hat; nur dann ist davon auszugehen, dass ein schuldhaftes Zögern nicht vorliegt. Da die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zwingend und unabhängig von Beteiligungsrechten nach dem KSchG oder von der Einschaltung des Integrationsamtes durchzuführen ist, ist dieser Zeitpunkt auch dann maßgeblich, wenn eine Beteiligung anderer Stellen durchzuführen ist (vgl. dazu auch Kleinebrink DB 2017, S. 126 ff., 129).
Hinweis:
Die Unterrichtung muss zudem "umfassend" sein. Inhaltlich bedeutet dies unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Beteiligung, dass die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzt werden muss, den zur Kündigung führenden Sachverhalt nachzuvollziehen, d.h. es müssen alle für die Beurteilung der Kündigung erheblichen Tatsachen mitgeteilt werden.
Insoweit bietet sich eine Anlehnung an die zu § 102 BetrVG (Mitbestimmung des Betriebsrats bei Kündigungen) gebildeten Grundsätze an. Der Arbeitgeber hat insoweit den für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt näher zu umschreiben, insbesondere die Tatsachen anzugeben, aus denen er seinen Kündigungsentschluss herleitet. Eine nur pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Bezeichnung des Kündigungsgrundes genügt i.d.R. ebenso wenig wie die Mitteilung eines Werturteils ohne Angabe der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen (vgl. BAGE 30, 386 = AP Nr. 17 zu § 102 BetrVG 1972; BAGE 31, 1 = AP Nr. 18 zu § 102 BetrVG 1972; BAGE 31, 83 = AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972). Auf dieser Grundlage hat die Schwerbehindertenvertretung zu entscheiden, ob sie sich äußert. Sie ist dazu allerdings nicht verpflichtet. Eine Bestimmung, in welcher Frist die Schwerbehindertenvertretung ihre Stellungnahme abzugeben hat, fehlt in § 95 SGB IX. Angesichts der gestärkten Stellung der Schwerbehindertenvertretung im Kündigungsverfahren, verbunden mit gewissen Annäherungen an die des Betriebsrats, spricht aber vieles dafür, die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG entsprechend anzuwenden.
Unerheblich für die Anwendung des § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX ist, ob das KSchG zugunsten des Mitarbeiters eingreift, d.h. das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat (zu Kleinbetrieben vgl. § 23 KSchG). Gleichermaßen ohne Belang ist, ob das Integrationsamt bei der Kündigung zu beteiligen ist (§ 90 SGB IX). Dies bedeutet, dass in jedem Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, gleichgültig, wie lange das Arbeitsverhältnis bestanden hat und unabhängig von der Betriebsgröße, eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu erfolgen hat.
Praxishinweis:
Die Unwirksamkeit der Kündigung muss binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht werden (§ 4 Abs. 1 KSchG). Ansonsten gilt die Kündigung als von Anfang an wirksam (§ 7 Abs. 1 S. 2 KSchG).