Eine (Mit-)Haftung des Radfahrers kommt nur bei einem feststehenden oder im Wege des Anscheinsbeweises vermuteten Verschulden in Betracht (§ 9 StVG, § 254 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Geboten und Verboten der StVO). Bei der Beteiligung eines minderjährigen (aber deliktsfähigen) Radfahrers ist deshalb wegen § 828 BGB je nach dem Altersgrad u.U. von einem geringeren Verschulden als bei einem erwachsenen Radfahrer auszugehen und bei der Haftungsquote ein Abschlag vorzunehmen.
Bei einem Radfahrer scheidet mangels Helmpflicht eine Mithaftung insoweit aus (BGH NJW 2014, 2493); für Rennradfahrer (OLG Nürnberg NJW-RR 1991, 546), Speed-Pedelec-Fahrer (LG Bonn NZV 2015, 395) und sportlich ambitionierte Fahrer, die sich besonderen Risiken aussetzen (OLG Düsseldorf NJW 2007, 3075; OLG Saarbrücken NJW-RR 2008, 266; s. aber LG Koblenz DAR 2011, 395), ist aber eine andere Beurteilung geboten.
1. Auffahrunfall
Geradeaus fahrender Radfahrer und überholendes Kfz: Beruht der Zusammenstoß auf einem ungenügenden Seitenabstand des Kfz, ist i.d.R. von der Alleinhaftung des Kfz-Halters auszugehen (§ 5 Abs. 4 S. 2 StVO). Eine Mithaftung des Radfahrers kommt aber z.B. dann in Betracht, wenn das Fahrrad bei Dunkelheit nicht beleuchtet ist oder wenn der Radfahrer nicht am rechten Fahrbahnrand fährt (§ 2 Abs. 4 S. 5 StVO; vgl. BGH VersR 1970, 328; OLG Naumburg VersR 2013, 776 [75 % Rad]; Grüneberg, a.a.O., Rn 384).
Ereignet sich der Unfall bei einem Wechsel des Radfahrers vom Rad-/Gehweg auf die Fahrbahn, kommt es darauf an, ob der Radfahrer vorsichtig (dann i.d.R. Alleinhaftung des Kfz-Halters) oder ob er unvorhersehbar (dann i.d.R. Alleinhaftung des Radfahrers) auf die Fahrbahn gewechselt ist (KG NZV 2003, 30 [100 % Kfz]; OLG Hamm NJW-RR 2018, 1117 [100 % Pedelec-Fahrer]; Grüneberg, a.a.O., Rn 385).
Hinweis:
Bei dem Zusammenstoß mit einem minderjährigen Radfahrer passiert es häufiger, dass der Unfall durch den Radfahrer aufgrund eines plötzlichen Schwenkers nach links mitverursacht worden ist; in diesen Fällen kommt i.d.R. trotz § 3 Abs. 2a StVO statt der Alleinhaftung des Kfz-Halters eine Schadensteilung in Betracht (Grüneberg, a.a.O., Rn 386).
- Geradeaus fahrender Radfahrer und rechtsabbiegendes Kfz: Beim Rechtsabbiegen hat der Kfz-Fahrer vor allem im Stadtverkehr zu beachten, dass er von Radfahrern rechts überholt wird, wobei dies gem. § 5 Abs. 8 StVO nur mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht geschehen darf. Beachtet dies der Radfahrer nicht, kommt eine Schadensteilung in Betracht (KG VM 1995, 51 [100 % Kfz]; OLG Nürnberg VRS 104, 100 [100 % Kfz]; Grüneberg, a.a.O., Rn 388). Dies gilt vor allem auch dann, wenn der Radfahrer verbotswidrig über einen Fußgängerüberweg fährt (OLG Celle DAR 1999, 505 [50 %]).
- Linksabbiegender Radfahrer und überholendes Kfz: Bei einem feststehenden Fehlverhalten des Radfahrers kommt i.d.R. eine zumindest hälftige Mithaftung des Radfahrers in Betracht (§ 9 Abs. 2 StVO; vgl. BGH VersR 1955, 57 [33 %]; KG NZV 2010, 506 [100 %]; OLG Naumburg VersR 2005, 1601 [80 %]; Grüneberg, a.a.O., Rn 391). Steht dagegen ein Fehlverhalten des Radfahrers nicht fest, ist i.d.R. von der Alleinhaftung des Kfz-Halters auszugehen (BGH VersR 1967, 808; OLG Hamm NZV 1990, 26).
Hinweis:
Bei einem Zusammenstoß mit einem minderjährigen deliktsfähigen Radfahrer ist je nach dessen Alter auch bei einem erheblichen Fehlverhalten des Radfahrers u.a. wegen § 3 Abs. 2a StVO von einer Mithaftung des Kfz-Halters zumindest in Höhe der einfachen Betriebsgefahr des Fahrzeugs auszugehen (BGH NJW 1986, 183).
2. Gegenverkehr
Bei einem Zusammenstoß zwischen einem linksabbiegenden Radfahrer und einem entgegenkommenden Kfz ist i.d.R. von der Alleinhaftung des Radfahrers auszugehen (§ 9 Abs. 2–4 StVO). Eine Mithaftung des Kfz-Halters kommt z.B. bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder bei einer Erkennbarkeit des Vorfahrtsverstoßes in Betracht, wobei sich diese bei einem Zusammenstoß mit einem minderjährigen, deliktsfähigen Radfahrer sogar bis zur Alleinhaftung des Kfz-Halters erhöhen kann (BGH VersR 1963, 143 [100 % Rad]; OLG Hamm NZV 1993, 66 [67 % Rad]; OLG Oldenburg NJW-RR 1990, 98 [max. 30 % Rad]; Grüneberg, a.a.O., Rn 395).
Bei einem Zusammenstoß zwischen einem linksabbiegenden Kfz und einem entgegenkommenden Radfahrer ist im Falle eines Vorfahrtsverstoßes des Kfz-Fahrers i.d.R. von dessen Alleinhaftung auszugehen (§ 9 Abs. 3 S. 1 StVO). Eine Mithaftung des Radfahrers wird z.B. bei eigener Unaufmerksamkeit in Betracht zu ziehen sein (OLG Frankfurt MDR 2010, 690; Grüneberg, a.a.O., Rn 396).
Bei einer Kollision zwischen einem rechtsabbiegenden Kfz und einem auf einem Radweg entgegenkommenden Radfahrer ist i.d.R. eine Schadensteilung vorzunehmen, wobei eine Mithaftung des Radfahrers vor allem bei einem Verstoß gegen § 2 Abs. 4 S. 2 und 4 StVO in Betracht kommen wird (Grüneberg, a. a O., Rn 397).
3. Kreuzungsverkehr
Bei einem Zusammenstoß auf einer ampelgeregelten Kreuzung haftet i.d.R. derjenige Verkehrsteilnehmer allein, der den Rotlichtverstoß begangen hat...