In der anwaltlichen Praxis werden Dokumente – meist der Inhalt von Gerichts- oder Verwaltungsakten – häufig nur eingescannt und elektronisch gespeichert und ggf. verarbeitet, ohne dass ein Ausdruck auf Papier erfolgt. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob dem Rechtsanwalt die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG anfällt.

1. Rechtslage bis 31.7.2013

Bis zum Inkrafttreten des 2. KostRMoG entsprach es weitgehend der einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung, dass die Dokumentenpauschale auch für das bloße Einscannen von Dokumenten anfällt, ohne dass es hierfür auch eines Ausdrucks auf Papier bedarf (s. OLG Bamberg RVGreport 2006, 354 [Hansens] = AGS 2006, 432; Bay. LSG RVGreport 2013, 153 [Hansens] = AGS 2013, 121; LG Dortmund RVGreport 2010, 108 [Hansens] = zfs 2010, 103 m. Anm. Hansens = AGS 2010, 125; LG Kleve RVGreport 2012, 31 [Hansens] = AGS 2012, 64; a.A. SG Dortmund AGS 2010, 3).

2. Rechtslage ab 1.8.2013

Mit Wirkung zum 1.8.2013 hat der Gesetzgeber diesen Auslagentatbestand neu formuliert und dies wie folgt in der Gesetzesbegründung zum 2. KostRMoG (BR-Drucks 517/12, S. 444) begründet. Zu der dort geregelten Neufassung der Nr. 7000 VV RVG heißt es: "Wegen der Änderung des Begriffs ‚Ablichtung' in ‚Kopie' wird auf die Begründung zu Art. 1 § 11 GNotKG-E Bezug genommen."

Zu § 11 GNotKG heißt es: "Der Entwurf sieht im gesamten Gerichts- und Notarkostengesetz die Verwendung des Begriffs ‚Kopie' anstelle des Begriffs ‚Ablichtung' vor. Grund der Änderung ist – neben der Einführung einer heute gebräuchlicheren Bezeichnung – die Vermeidung von Missverständnissen bei der Erstellung von elektronischen Dokumenten (Scans). Da auch beim Scannen in der Regel das Papierdokument ‚abgelichtet' wird, wird zum Teil unter dem Begriff der ‚Ablichtung' auch ein eingescanntes Dokument verstanden. Nunmehr soll klargestellt werden, dass es sich hierbei gerade nicht um Ablichtungen im Sinne des geltenden Rechts und damit auch nicht um Kopien im Sinne des Gerichts- und Notarkostengesetzes handelt. Kopie im Sinne des Kostenrechts ist die Reproduktion einer Vorlage auf einem körperlichen Gegenstand, beispielsweise Papier, Karton oder Folie."

Aufgrund dieser Neuregelung der Nr. 7000 VV RVG durch das 2. KostRMoG sind sowohl Rechtsprechung als auch Literatur "umgeschwenkt". Nach allgemeiner Auffassung löst das bloße Einscannen von Dokumenten nunmehr keine Dokumentenpauschale aus (KG RVGreport 2015, 464 [Burhoff] = zfs 2015, 705 m. Anm. Hansens = AGS 2015, 569; LSG Niedersachsen-Bremen AGS 2017, 329; Bay. LSG RVGreport 2018, 460 [Hansens.]; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 7000 VV RVG Rn 15; AnwK-RVG/Volpert, 8. Aufl. 2017, Nr. 7000 VV RVG Rn 24 ff.). Gegenteiliger Auffassung in der Kommentarliteratur ist – soweit ersichtlich – allein Hartmann (KostG, 48. Aufl. 2018, Nr. 7000 VV RVG Rn 4), der sich allerdings teilweise auf überholte Rechtsprechung bezieht.

3. Kritik an der Neuregelung

In der übrigen Literatur wird teilweise bezweifelt, ob der Gesetzgeber in der vorstehend wiedergegebenen Gesetzesbegründung (s. oben 2.) mit der Verweisung auf die Begründung zu § 11 GNotKG tatsächlich in vollem Umfang eine Verweisung auch für die anwaltliche Dokumentenpauschale beabsichtigt habe (s. Klüsener JurBüro 2016, 2; Meyer JurBüro 2014, 127; Reckin AnwBl 2015, 59). Dabei wird darauf verwiesen, der Gesetzgeber hätte eine inhaltliche Änderung bei der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG direkt bei den Motiven zur anwaltlichen Dokumentenpauschale selbst zum Ausdruck bringen müssen. Außerdem seien keine plausiblen Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der Kopie einerseits und des Einscannens andererseits ersichtlich (Klüsener JurBüro 2016, 2 und auch das Bay. LSG a.a.O.). Auch das für das RVG zuständige Referat im BMJV ist sich wohl nicht sicher, ob die Erwägungen des Gesetzgebers zu § 11 GNotKG auch für die anwaltliche Dokumentenpauschale gelten sollen. Ferner haben sich der DAV und die BRAK in ihrem gemeinsamen Katalog zur Änderung, Ergänzung und Klarstellung des RVG (s. hierzu Hansens RVGreport 2018, 202 ff.) dafür ausgesprochen, in Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, nach der die Dokumentenpauschale auch für Ausdrucke aus in elektronischer Form überlassenen Akten anfällt.

 

Hinweis:

Gerade mit Einführung der elektronischen Akte und des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ist eine derartige Regelung dringend erforderlich.

4. Praktische Auswirkungen

Andernfalls wären die Anwälte im eigenen wirtschaftlichen Interesse gezwungen, die Dokumente – etwa die Gerichtsakte – erst einzuscannen und die gescannten Seiten dann auszudrucken. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Gerichtsakte erst zu kopieren und die Kopien dann einzuscannen. In beiden Fällen würde dies auch nach der geltenden Gesetzeslage eindeutig zum Anfall der Dokumentenpauschale führen. Dem beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt könnte allerdings die Staatskasse vorhalten, diese Verfahrensweise sei nicht "zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erforderlich" (s. § 46 Abs. 1 RVG). All diese Probleme könnten dadurc...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?