Eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung ist nicht i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers „bedingt”, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (z.B. die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderen, dem Gesundheitszustand entsprechenden Arbeitsplatz).
Hinweis:
Besondere Ansprüche auf behinderungs- bzw. leidensgerechte Beschäftigung haben nach § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX schwerbehinderte Menschen gegen ihren Arbeitgeber. Es handelt sich hierbei um einen Rechtsanspruch auf Vertragsänderung (s. BAG 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, NJW 2006, 1691, hierzu Kohte, juris PR-SozR 27/06 Anm. 2). Zum Anspruch dieses Personenkreises auf Prävention nach § 167 Abs. 1 SBG IX s. unten.
Nach näherer Maßgabe des § 167 Abs. 2 SGB IX sind Arbeitgeber zur Durchführung eines bEM (s. nur Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 130 Rn 32 m.w.N.; zu Fragen des bEM s. nunmehr auch Linné/Thies, JM 2023, 459) verpflichtet. Aus dem im Kündigungsrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, die im Rahmen eines bEM als zielführend anerkannten Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern (s. etwa BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, NZA-RR 2022, 222, Rn 12 m.w.N.). Ist der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht nachgekommen, so berührt dies zwar nicht die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung, er ist jedoch im Kündigungsschutzprozess darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken.
In dem vom BAG am 15.12.2022 (2 AZR 162/22, NZA 2023, 500 = NJW 2023, 1233 m. Anm. Stähler, NZS 2023, 556) entschiedenen Fall hatte die Arbeitgeberin die Durchführung des bEM unterlassen, weil sich die Arbeitnehmerin geweigert hatte, in die Verarbeitung ihrer i.R.d. bEM zu erhebenden personenbezogenen- und Gesundheitsdaten schriftlich einzuwilligen. Die Arbeitgeberin beantragte sodann beim Integrationsamt die gem. § 168 SGB IX erforderliche Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin, die erteilt wurde. Gegen die ausgesprochene Kündigung hat sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage gewandt, der das LAG stattgab. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Das BAG stimmt dem Berufungsgericht darin zu, dass die auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist. Die Beklagte durfte die Einleitung des bEM-Verfahrens nicht davon abhängig machen, dass die Klägerin die vorgelegte Datenschutzerklärung über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen sowie Gesundheitsdaten unterzeichnet. § 167 Abs. 2 SGB IX bestimmt solches nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines bEM. Dessen S. 4 regelt nur aus Transparenzgründen eine Hinweispflicht über Art und Umfang der im konkreten bEM zu verarbeitenden Daten. Es ist dem Arbeitgeber auch ohne vorherige datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten bEM zu beginnen und mit dem Arbeitnehmer in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf zu besprechen. Datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers sind frühestens dann von Bedeutung, wenn sich die Beteiligten des bEM darüber verständigt haben, welche Angaben über den Gesundheitszustand für eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten voraussichtlich erforderlich sind, so Rn 18 der Entscheidung.
Im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt bestätigt das BAG dem Berufungsgericht, es habe ohne revisionsrechtlich erheblichen Fehler angenommen, grundsätzlich sei davon auszugehen, ein von der Beklagten durchzuführendes bEM hätte dazu beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten der Klägerin bezogen auf den maßgeblichen Prognosezeitpunkt des Kündigungszugangs zumindest zu vermindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten (Rn 19 ff.).
Schließlich billigt das BAG die Annahme des LAG, der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts begründe keine Vermutung dafür, dass ein bEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Allerdings hat der Zweite Senat des BAG in der Vergangenheit angenommen, nach Zustimmung des Integrationsamts zu einer verhaltensbedingten Kündigung könne nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX a.F. (jetzt: § 167 Abs. 1 SGB IX) die Kündigung hätte verhindern können (BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, NZA 2007, 617, Rn 28). Das Gericht ließ offen, ob es an dieser Entscheidung festhält. Jedenfalls lehnt es ab, den vorstehenden Rechtssatz auf das Verhältnis zwischen einem bEM und dem Zustimmungsverfahren v...