I. Arbeitsvertragsrecht
1. Urlaubs- und Weihnachtsgeld: Betriebliche Übung/vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Kalenderjahr 2020 und über die Erteilung einer Lohnabrechnung hierüber. Der Kläger ist seit dem 18.7.2014 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Der unter dem 12.1.2015 geschlossene Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:
Zitat
„3. Vergütung
e) Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt (...)
10. Nebenabreden und Vertragsänderung:
Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderung und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.”
Die Arbeitgeberin zahlte jedenfalls in den Kalenderjahren 2015 bis 2019 jeweils, in wechselnder Höhe, im Abrechnungsmonat Juni ein Urlaubsgeld von zuletzt 1.522,50 EUR brutto und im Abrechnungsmonat November ein Weihnachtsgeld i.H.v. zuletzt 1.540 EUR brutto zusammen mit dem jeweiligen Monatsentgelt ohne weitere Erklärungen an den Kläger aus. Im Jahr 2020 stellte die Beklagte die Zahlung ein. In einer Mitteilung vom 18.6.2021 informierte die Beklagte ihre Mitarbeiter über die Einführung eines sog. KPI-Systems. Darin heißt es u.a.: „Der KPI-Jahresbonus als Sonderzuwendung ersetzt somit das in der Vergangenheit vorhandene klassische Urlaubs- und Weihnachtsgeld.”
Der Kläger meint, ihm stehe auch für das Kalenderjahr 2020 ein Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu – in Höhe der im Vorjahr erhaltenen Beträge –, da diese Zahlungen vorbehaltlos während der gesamten Beschäftigungsdauer geleistet worden seien. Auch andere Mitarbeiter hätten entsprechende Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen erhalten. Die arbeitsvertragliche Freiwilligkeitsklausel sei unwirksam. Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG Baden-Württemberg (Kammer Freiburg) gab der Klage vollumfänglich statt.
Die Revision der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG, mit Ausnahme der Abrechnung, keinen Erfolg (Urt. v. 25.1.2023 – 10 AZR 109/22 NZA 2023, 629). Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer betrieblichen Übung sind, so das Gericht, erfüllt. Dem stehen im Ergebnis weder der Freiwilligkeitsvorbehalt unter Nr. 3 Buchst. e des Arbeitsvertrags noch die unter Nr. 10 aufgenommene Schriftformklausel entgegen.
Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und ob er auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte.
Der Arbeitnehmer hat unter Beweisantritt den Auslegungstatbestand einer betrieblichen Übung vollständig vorgetragen, dass: (1) die Beklagte in den vergangenen Kalenderjahren nicht nur an ihn, sondern auch an weitere Beschäftigte ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld jeweils in den Abrechnungsmonaten Juni und November gezahlt hat, (2) was auch der Mitteilung der Beklagten v. 18.6.2021 entspricht. (3) Die Zahlungen sind auch ohne Vorbehalt oder sonstige Erklärung erfolgt, wie die Entgeltabrechnungen für die Monate Juni und November 2019 ergeben.
Der Vortrag gilt nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, weil die Beklagte nach den Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast diesem Vortrag nicht durch substantiierten Vortrag entgegengetreten ist und ein pauschales Bestreiten bei schlüssigem Vortrag nicht hinreichend ist. Beispielhaft hat sie nicht behauptet, dass das Urlaubsgeld etwa akzessorisch zum Erholungsurlaub geleistet wurde (vgl. dazu BAG, Urt. v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, Rn 11, NZA 2020, 310). Soweit die Beklagte eine vorbehaltlose Zahlung in der Vergangenheit bestritten hat, folgt aus ihrem Vortrag nicht, dass sie über die Aufnahme der umstrittenen Klausel in den Arbeitsvertrag hinaus bei der Auszahlung der Leistung einen entsprechenden Vorbehalt erklärt hatte.
Der Umstand, dass die jeweiligen Zahlungen nicht in gleichbleibender Höhe erfolgten, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Vielmehr ergibt sich aus der nicht gleichförmigen Höhe der Sonderzahlung lediglich, dass die Arbeitgeberin nicht in bestimmter Höhe Leistung erbringen, sondern jedes Jahr neu nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) über deren Höhe entscheiden will.
Hinweise:
1. Das BAG fasst nochmals klarstellend zusammen, was unter einer betrieblichen Übung zu verstehen ist: (1) Die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, (2) aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden.
2. Bei den durch betriebliche Übung begründeten Vertragsbedingungen...