Ausgehend von diesen Grundsätzen hat des BAG (BAG, Urt. v. 31.1.2023 – 9 AZR 107/20, ZAT 2023, 136 m. Anm. Gundel) den teilweisen Verfall des Urlaubs bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit bejaht, wenn die Erkrankung so früh im Jahr eintritt, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich ist, den Arbeitnehmer vor dessen Erkrankung in die Lage zu versetzen, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Es fehlt dann teilweise an der Kausalität der Mitwirkungsobliegenheit für die Nichterfüllung des Urlaubs.
Die Parteien stritten über die Abgeltung von Urlaub. Der Kläger war von 1989 bis 2019 bei der Beklagten beschäftigt. Es galt der TVöD. Seit dem 18.1.2016 war er fortlaufend bis zu Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin hatte sich in einem Aufhebungsvertrag verpflichtet, noch offene Urlaubsansprüche aus den Jahren 2017–2019 abzugelten. Weitergehend verlangt der Kläger 30 Urlaubstage aus 2016 abzugelten. Das LAG wies die Klage ab, die Revision blieb im Umfang von 25 Tagen ohne Erfolg. Wegen der verbleibenden fünf Tage wurde der Rechtstreit an das LAG zurückverwiesen.
Konkret: Die Beklagte musste ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht vor dem 8.1.2016 erfüllen, weil ihr mind. fünf Arbeitstage zur Erfüllung zur Verfügung stehen müssen. Mit dem 9.1.2016 ist das Risiko auf die Beklagte übergegangen, weil die Kausalität zwischen der Nichterfüllung des Urlaubs und der unterbliebenen Mitwirkung gegeben ist. Aufgrund der am 18.1.2016 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers lagen zwischen dem 9.1.2016 und 15.1.2016 lediglich fünf Arbeitstage, in denen der Urlaubsanspruch hätte erfüllt werden können. Weil zwischen dem 4.1.2016 und dem 18.1.2016 nur zehn Arbeitstage lagen, war die Gewährung und Inanspruchnahme von 20 Arbeitstagen Urlaub bereits wegen der Erkrankung des Klägers sowohl im Urlaubsjahr als auch in der 15-Monatsfrist unabhängig davon unmöglich gewesen, sodass die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Fazit: Der Urlaubsanspruch war im Umfang von 25 Arbeitstagen (fünf Karenzarbeitstage 1.–8.1.2016 und 20 Arbeitstage ab dem 18.1.2016) am 31.3.2018 verfallen.
Hinweise:
- Im TVöD ist ein Gleichlauf von gesetzlichen Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub bzgl. der Sachgruppe Mitwirkungsobliegenheit gegeben. Der TVöD enthält keine eigenständige Regelung zur Mitwirkungsobliegenheit.
- Die Mitwirkungsobliegenheit ist nur dann „rechtzeitig” und nimmt dem Arbeitgeber das Risiko nur, wenn sie innerhalb der ersten sechs Werktage des Jahres erfüllt wurde.
- Wird die Mitwirkungsobliegenheit später erfüllt, so wird sie mit jedem Tag der Verspätung kausal für die Nichtnahme des Urlaubs und bewirkt, dass der Urlaub in diesem Umfang teilweise nicht verfallen kann.