Der „Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens” aus 2015 hatte eine audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung vorgeschlagen. Das ist dann aber nicht umgesetzt worden (vgl. zu diesen Fragen/Plänen Bockemühl, Österreichisches Anwaltsblatt 2016, 343; Mosbacher, StV 2018, 182; Norouzi, StV 2015, 773; Serbest, StraFo 2018, 94; Bartel, StV 2018, 678, Schmitt, NStZ 2019, 1; von Galen, StraFo 2019, 309). Die „Ampelkoalition” hatte sodann in ihrem Koalitionsvertrag eine gesetzliche (Neu-)Regelung der Problematik vereinbart. Im Mai 2023 hat die Bundesregierung dazu den „Entwurf für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung” (im Folgenden kurz: DokHVG-E) vorgelegt. Dieser befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BT-Drucks 20/8096 und BR-Drucks 22/239; dazu – teils krit. – Basar/Heinelt, KriPoZ 2023, 23; Beukelmann, StV 2023, 719; Effer-Uhe, GVRZ 2023, 18; Killmer, DRiZ 2023, 222; Mathes, NJW-Spezial 2023, 120; Traut/Nickolaus, StraFo 2022, 55; Valerius, GA 2023, 319; van Hattem/Bafteh, MMR 2023, 100).
Inhaltlich sind in etwa folgende Änderungen/Erweiterungen geplant:
- Vorgesehen ist die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung zunächst nur für die erstinstanzlichen HV vor den LG und OLG.
- Die aus § 271 Abs. 1 S. 1 StPO folgende Verpflichtung, jede Hauptverhandlung durch die Aufnahme eines Protokolls – des sog. Formalprotokolls – zu dokumentieren, bleibt bestehen. Aufzeichnung und Transkript werden (nur) als Hilfsmittel für die Verfahrensbeteiligten neben das Hauptverhandlungsprotokoll treten, dieses aber nicht ersetzen (§ 271 Abs. 1 DokHVG-E). Es behält seine Funktion für das Revisionsverfahren auch in den Fällen, in denen eine Aufzeichnung erfolgt.
- Rechtsgrundlage für die Einführung der digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen HV ist der neue § 271 Abs. 2 DokHVG-E. Danach erfolgt die Dokumentation von Hauptverhandlungen durch eine Tonaufzeichnung, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) zu übertragen ist. Gegebenenfalls wird die HV auch mit einer Bildaufzeichnung dokumentiert (s. dazu § 19 Abs. 1 StPOEG-E). Aufzuzeichnen ist die gesamte Hauptverhandlung vom Aufruf der Sache bis zur Verkündung des Urteils. Die Tonaufzeichnung ist Voraussetzung für die Transkription. Die Tonaufzeichnung ist automatisiert in ein Textdokument zu übertragen.
- In § 273 Abs. 1 DokHVG-E ist vorgesehen, dass eine vorübergehende technische Störung der Aufzeichnung oder der Transkription den Fortgang der Hauptverhandlung nicht hindert. Die Hauptverhandlung kann in diesem Fall fortgesetzt werden.
- Maßgeblich für die Tonaufzeichnung und ihre Transkription sind nach § 273 Abs. 3 DokHVG-E nur Äußerungen in deutscher Sprache.
- Nach § 273a Abs. 1 S. 1 DokHVG-E sind die Aufzeichnungen und die Transkripte als Dokumente zu den Akten zu nehmen. Die Verwendung der Aufzeichnung und des Transkripts sind nach § 273a Abs. 2 S. 1 DokHVG-E grds. nur für Zwecke des Strafverfahrens zulässig.
- § 352 Abs. 3 DokHVG-E enthält ein revisionsrechtliches Rekonstruktionsverbot. Es wird „klargestellt”, dass das bloße objektive Vorhandensein eines Beweismittels für den Erweis der behaupteten Tatsachen nicht genügt. Vielmehr muss der Verfahrensmangel ohne Weiteres, also „auf einen Blick”, erkennbar sein, ohne dass in tatrichterliche Auslegungs- und Beurteilungsspielräume eingegriffen wird. Umfangreiche Beweismittel, die einer wertenden Zusammenfassung und Auslegung bedürfen, eben etwa stundenlange Mitschnitte von Aussageinhalten, scheiden damit zum Nachweis des Verfahrensfehlers aus. Klargestellt wird außerdem, dass ein ohne Weiteres erkennbarer Verfahrensmangel auch dann nicht vorliegt, wenn der Beweiswert des benannten Beweismittels durch den weiteren Verlauf der HV, also andere in die Gesamtwürdigung des Tatgerichts einzustellende Beweisumstände, seine Beweisbedeutung verloren haben kann. Nur wenn ein nachträglicher Bedeutungsverlust des Beweismittels offensichtlich auszuschließen ist, kann von einem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO) ausgegangen werden.