Die Überlassung der beA-Karte und der PIN des Rechtsanwalts an Dritte, wie z.B. an Kanzleimitarbeiter, ist nicht zulässig. Das ist das Fazit aus dem BGH, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 StR 39/23 (vgl. auch noch BGH, Beschl. v. 4.10.2023 – 3 StR 292/23). In dem Verfahren ging es um die Zulässigkeit der Revision einer Nebenklägerin. Das LG hatte den Angeklagten am 24.8.2022 freigesprochen. Dagegen hat die Nebenklägerin mit einem am 25.8.2022 per Telefax eingegangenen Schriftsatz ihres anwaltlichen Vertreters Revision eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil die Form des § 32d S. 2 StPO in der Frist zur Einlegung der Revision gem. § 341 StPO nicht gewahrt worden sei.
Nach Zustellung des Verwerfungsbeschlusses an den anwaltlichen Vertreter der Nebenklägerin hat dieser am gleichen Tag durch Übermittlung im besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revisionseinlegung auf diesem Wege nachgeholt. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er damit begründet, er habe am 24.8.2022 mit der Nebenklägerin die Einlegung der Rechtsmitteleinlegung besprochen, am Folgetag den Rechtsmittelschriftsatz einer Kanzleiangestellten diktiert und ihr die Anweisung erteilt, den Schriftsatz durch Übermittlung im beA und durch Telefax an das LG zu übersenden. Sendeberichte habe diese am nächsten Tag einem ebenfalls in der Kanzlei tätigen Rechtsanwalt zur Kontrolle vorlegen sollen. Er selbst sei am 25.8.2022 zu einer Reise aufgebrochen. Erst nach Zugang des Revisionsverwerfungsbeschlusses der Strafkammer sei erkannt worden, dass die Rechtsmittelschrift nicht im beA übermittelt wurde. Da er im Homeoffice arbeite und die Kanzlei nur zur Wahrnehmung von Besprechungsterminen aufsuche, habe er seine Angestellte gebeten, seine beA-Karte und den PIN in ihrem Schreibtisch zu verwahren; diese wäre daher in der Lage gewesen, den Übermittlungsauftrag auszuführen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte keinen Erfolg. Der BGH (Beschl. v. 20.6.2023 – 2 StR 39/23) hat das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrunds verneint. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert gewesen sei, eine Frist einzuhalten, sei ihm auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 S. 1 StPO). Das sei hier nicht der Fall. Der Nebenklägerin sei, anders als einem Angeklagten bei der Verteidigung gegen einen Schuld- und Rechtsfolgenausspruch, auch das Verschulden ihres anwaltlichen Vertreters zuzurechnen (vgl. BGHSt 30, 309, 310). Dieser habe hier eine fristwahrende Übersendung der Rechtsmittelschrift in der Form des § 32d S. 2 StPO versäumt, ohne für ausreichende Abhilfemöglichkeiten zu sorgen. Die Übergabe seiner beA-Karte und der zugehörigen PIN an die Kanzleiangestellte zu deren Verwendung seien dazu nicht geeignet gewesen.
Die einfache Signatur der Rechtsmittelschrift setze die persönliche Versendung durch die den Schriftsatz verantwortende Person voraus (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 2 StR 162/22). Nach § 24 der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPN) können andere Personen als der bevollmächtigte Rechtsanwalt, insb. Kanzleimitarbeiter, sich nur mit einem ihnen selbst zugeordneten Zertifikat und der zugehörigen Zertifikats-PIN im beA anmelden. Das sei hier nicht geschehen. Die Überlassung des eigenen Zertifikats des Rechtsanwalts an die Kanzleimitarbeiterin sei nicht zulässig. Nach § 26 Abs. 1 RAVPN dürfe der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikats dieses keiner anderen Person überlassen; er habe auch die zugehörige PIN geheim zu halten. Dadurch solle sichergestellt werden, dass die einfache Signatur von der den Schriftsatz verantwortenden Person stamme. Eine Überlassung des Zertifikats an eine nicht angemeldete Person würde es einem Unbefugten ermöglichen, anwaltliche Schriftsätze eigenmächtig zu erstellen oder abzuändern, um sie dann mit einer einfachen Signatur des Rechtsanwalts zu versenden.
Bei einer Übermittlung über das beA müsse die Übertragung in das Postfach dieses Verteidigers oder Rechtsanwalts erfolgen und dieser – also nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter – der tatsächliche Versender sein (vgl. BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 3 StR 89/22, StraFo 2022, 276 = StRR 7/2022, 16). Die Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer bestimme, dass das Recht, nicht qualifiziert-elektronisch signierte Dokumente alternativ formwahrend über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden, nicht auf Dritte übertragen werden dürfe (§ 23 Abs. 3 S. 5 RAVPV); denn das Vertrauen in die Authentizität der mit einfacher Signatur übermittelten elektronischen Dokumente stütze sich auf die Erwartung, dass dieser sichere elektronische Übermittlungsweg ausschließlich von den Inhabern des Anwaltspostfachs selbst genutzt werde und die das Dokument einfach signierende Person mit der des Versenders übereinstimme. Sei das nicht der Fall, werden die Formerfordernisse nach § 32a Abs. 3 Var. 2, Abs. 4 S. 1 Nr...