I. Grundlagen
Der zivilrechtliche Störerbegriff ist von zentraler Bedeutung vor allem für die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach § 1004 Abs. 1 BGB. Der Störer ist Schuldner dieser Ansprüche (Bassenge in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 1004 Rn. 5). Rechtsprechung und Literatur sind von einer unübersehbaren Kasuistik geprägt (Englert in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl. 2014, § 1004 Rn. 4). Im Folgenden werden die Leitlinien vorwiegend an Hand der Rechtsprechung des BGH dargestellt.
Hinweis:
Die Geschäftsfähigkeit und die Deliktsfähigkeit sind für die Störereigenschaft als solche ohne Belang (Englert in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl. 2014, § 1004 Rn. 4). Sie können aber Bedeutung erlangen, wenn es um Schadensersatz für die pflichtwidrige Nichtbeseitigung einer Störung geht. Der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB selbst ist verschuldensunabhängig (Büttner in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. 2014, Kap. 32 Rn. 47).
Herkömmlicherweise wird mit den Begriffen Handlungsstörer und Zustandsstörer gearbeitet, wobei diese Begriffe weiter – in den Einzelheiten nicht ganz einheitlich – ausdifferenziert werden.
II. Handlungsstörer
1. Allgemein
Handlungsstörer ist, wer eine Beeinträchtigung der Rechtsgüter eines anderen durch eine Handlung oder durch das pflichtwidrige Unterlassen notwendigen Handelns adäquat verursacht (BGH NJW 2007, 432; BGH NJW-RR 2001, 232; Englert in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl. 2014, § 1004 Rn.4).
Beispiele:
- Jemand pflanzt einen Baum unter Missachtung der Grenzabstandsvorschriften an der Grundstücksgrenze und beeinträchtigt dadurch das Eigentum am Nachbargrundstück.
- Der Halter eines Tieres trifft keine Vorkehrungen, um vom Tier ausgehende Störungen der Nachbarn zu unterbinden.
Hinweis:
Der Handlungsstörer ist und bleibt verantwortlich, unabhängig davon, ob die Gründe für seine Verantwortlichkeit fortbestehen (Büttner in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. 2014, Kap. 32 Rn. 44).
2. Unmittelbarer Handlungsstörer
Unmittelbarer Handlungsstörer ist, wer durch seine Handlung oder Unterlassung selbst schon die Beeinträchtigung bewirkt (BGH NJW-RR 2014, 973).
Hinweis:
Grundsätzlich unerheblich ist, ob der Störer einem Dritten gegenüber zur Handlung oder Unterlassung verpflichtet ist (OLG Karlsruhe NJW 2012, 1520), es sei denn, er handelt als weisungsgebundener Arbeitnehmer im Rahmen seiner Arbeitspflicht (BGH NJW 1983, 751).
3. Mittelbarer Handlungsstörer
Als mittelbarer Handlungsstörer wird angesehen, wer die Beeinträchtigung durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht und in der Lage ist, die unmittelbar auftretende Störung zu verhindern und hierzu auch verpflichtet ist (BGH MDR 2014, 1019 = GE 2014, 1063 = ZMR 2014, 894). Dabei ist immer die Verpflichtung problematisch.
Hinweis:
Grundsätzlich kann die Verpflichtung zur Störungsbeseitigung bereits aus dem vorangegangenen Tun, insbesondere aus der Schaffung der Gefahrenquelle abgeleitet werden (vgl. Baldus in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2011 ff., § 1004 R. 166 ff.).
Beispiele:
- Der Vermieter von Teileigentum vermietet zum Betrieb eines störenden Gewerbebetriebes, obwohl dies wohnungseigentumsrechtlich gegenüber den anderen Wohnungseigentümern unzulässig ist (BGH ZMR 2006,357).
- Ein Bauherr ist für den Lärm von Abbrucharbeiten verantwortlich (BGH NJW 1962, 1342).
III. Zustandsstörer
1. Allgemein
Zustandsstörer ist, wer als Verfügungsberechtigter über eine Sache nicht verhindert, dass durch diese die Rechtsgüter eines anderen beeinträchtigt werden, obwohl er dies verhindern könnte (Englert in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl. 2014, § 1004, Rn. 4). Daher ist es beim Eigentum oder Besitz erforderlich, dass der Eigentümer oder Besitzer noch Einwirkungsmöglichkeiten haben (BGH NJW 1998, 3228). Grundsätzlich nicht erforderlich ist beim Zustandsstörer, dass er selbst die Ursache für die Störung gesetzt hat; dann wäre er bereits Handlungsstörer (s.o. II.). Die Störereigenschaft ergibt sich aus der Verantwortlichkeit für den Zustand der Sache (Büttner in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. 2014, Kap. 32 Rn. 46).
2. Eigentum und Besitz am Grundstück
Die Störereigenschaft folgt nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, und setzt auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus; erforderlich – aber auch ausreichend – ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht (BGH NJW-RR 2011, 739). Hierfür ist entscheidend, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt (BGH NZM 2011, 495 = WuM 2011, 582). Anstelle des Grundstückseigentümers kann der Störer derjenige sein, der zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen verpflichtet ist; die Sicherungspflicht...