Im Kleinbetrieb der Arbeitgeberin galt das Kündigungsschutzgesetz nicht. Für die schwangere Klägerin bestand jedoch der besondere Kündigungsschutz des § 9 MuSchG. Anfang Juli 2011 sprach der Frauenarzt aus medizinischen Gründen ein allgemeines Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG für die Klägerin aus. Die Arbeitgeberin reagierte verärgert und drängte die Klägerin weiter zu arbeiten, was die Klägerin ablehnte. Am 14.7.2011 wurde festgestellt, dass ihre Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendig gewordenen Eingriff wurde die Klägerin auf den 15.7.2011 ins Krankenhaus einbestellt. Sie unterrichtete die Beklagte von dieser Entwicklung noch am 14.7.2011 und fügte hinzu, dass sie nach der Genesung einem Beschäftigungsverbot nicht mehr unterliegen werde. Die Beklagte sprach umgehend eine fristgemäße Kündigung aus und warf diese am 14.7. in den Briefkasten der Klägerin ein, wo sie die Klägerin nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus am 16.7.2011 entnahm. Unter dem 9.8.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal "aus betriebsbedingten Gründen", diesmal zum 15.9.2011, wegen der Ungewissheit der Weitergeltung mutterschutzrechtlicher Vorschriften.
Der 8. Senat des BAG bestätigte, die allein in der Revision noch streitige Entschädigung i.H.v. 3.000 EUR. § 2 Abs. 4 AGG steht dem Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen (vgl. dazu BAG Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, s. Sartorius/Gundel ZAP F. 17 R, S. 753). Der besondere, durch § 3 Abs. 1 AGG betonte Schutz der schwangeren Frau vor Benachteiligungen führt jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden auch zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Dies ist unabhängig von der Frage zu sehen, ob und inwieweit Kündigungen auch nach den Bestimmungen des AGG zum Schutz vor Diskriminierungen zu beurteilen sind. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwangerschaft von der Beklagten ungünstiger behandelt und daher wegen ihres Geschlechtes benachteiligt, § 3 Abs. 1 S. 2 AGG i.V.m. § 1 AGG. Weil ein Motiv eines Motivbündels, mithin die bloße Mitursächlichkeit ausreichend ist, folgt dies schon aus dem Verstoß der Beklagten gegen das gesetzliche Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Da Mutter und totes Kind noch nicht getrennt waren, bestand die Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 14. Juli 2012 fort. Auch der Versuch, die Klägerin zum Ignorieren des Beschäftigungsverbotes zu bewegen, und der Ausspruch der Kündigung noch vor der künstlich einzuleitenden Fehlgeburt indizieren die ungünstigere Behandlung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft. Bestätigt wird dies durch die weitere nachfolgende Kündigung, die auf die nach dem Vortrag der Arbeitgeberin auf die Unsicherheit der Geltung mutterschutzrechtlicher Vorschriften gestützt wurde.
Hinweise:
- Die Kündigung vom 14.7.2011 scheiterte auch nach § 242 BGB. Sie ist ein seltener Fall der "zur Unzeit" erklärten Kündigung (vgl. keine Unzeit nur wegen Zugangs der Kündigung am Heiligen Abend: BAG, Urt. v. 14.11.1984 – 7 AZR 174/83 [zu II 4 der Gründe], AP BGB § 626 Nr. 88; keine Unzeit nur wegen eines rein zeitlichen Zusammenhangs zur Fehlgeburt: BAG, Urt. v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90 [zu B IV 2 a der Gründe]; keine Unzeit bei Kündigung nach Mitteilung der Krebserkrankung des Lebensgefährten: BAG, Urt. v. 5.4.2001 – 2 AZR 185/00 [zu II 2 b der Gründe], BAGE 97, 294). Die Art der Treuwidrigkeit ist geschlechtsspezifisch diskriminierend. Der Arbeitgeber verstößt grob gegen seine Pflicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin Rücksicht zu nehmen, ihr noch vor dem Weg ins Krankenhaus, wo sie – für die Beklagte bekannt – einen artifiziellen Abort vornehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Klägerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und darüber hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Die Beklagte hat bewusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Klägerin besonders beeinträchtigen musste.
- Die Unterlassung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX hat weder kündigungsschutzrechtliche (vgl. BAG, Urt. v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06 und BAG, Urt. v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07) noch diskriminierungsrechtliche Rechtsfolgen (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.3.2014 – 1 Sa 23/13 – n. rkr., Revision: Az. 8 AZR 402/14).