Zweitens ist für die Weiterentwicklung des ERV die Frage zu stellen, ob und in welcher Hinsicht die bislang vorherrschende Formdominanz überwunden werden kann: Im Zuge der ERV-Reformen ist eine deutliche Dominanz der Form über die Inhalte von Verfahren zu erkennen. Ohne die Notwendigkeit sicherer Datenübertragungswege und von Grundanforderungen an Sicherheit (insb. bzgl. Authentizität und Integrität) und Vertraulichkeit des ERV (dazu Viefhues CR 2001, 556 ff., 560) bestreiten zu wollen, sei hier die Frage gestattet, ob und inwieweit eine Konzentration auf Sicherheitsaspekte (wie sie jüngst durch das "beA-Desaster" noch verstärkt worden ist) nicht viel bedeutsamere Fragen einer (künftigen) "elektronischen Justiz" verdrängt.
Ohne im vorliegenden Zusammenhang näher auf die Realitätsferne von vielfach erhobenen Sicherheitsbedenken einzugehen (s. bereits E. Schneider NJW 1998, 1844 ff.) – man denke hier nur an den (praktisch fernliegenden) Beispielsfall der Fälschung einer Klageschrift auf elektronischem Wege – stellt sich die Frage, ob die vielfach mit dem ERV verbundene Fokussierung auf Sicherheits- und damit Formfragen möglicherweise auch die Konsequenz dessen ist, dass sich mit dem Zusammentreffen von Internet und Justiz "zwei Welten begegnen" (so allg. Hoeren NJW 2000, 188 ff.). Es besteht dabei die Vermutung, dass das teilweise auch aktuell noch zum Ausdruck kommende Misstrauen in der Justiz (gerade in der Richterschaft, man denke hier nur an die vielfach auch in diesem Zusammenhang angeführte richterliche Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG) gegenüber dem ERV zu einem großen Teil aus Mangel an geschultem Personal und dem Fehlen von doppelt qualifizierten Experten resultiert (ein anschauliches Beispiel nennt Köbler NJW-aktuell 34/2018, S. 17; vgl. auch Rebehn NJW-aktuell 42/2018, S. 16: "Qualitätsmängel, Sicherheitslücken und Akzeptanzprobleme" beim beA).
Demgegenüber fehlt es in der Diskussion um die Weiterentwicklung des ERV an einem breiten Konsens dahingehend, dass die Grundlagen eines effektiven (Zivil-)Justizsystems den Rahmen der Elektronifizierung setzen müssen und der Technik dabei (nur) eine dienende Funktion zukommt. Als Konsequenz eines solchen Ansatzes müssten zunächst die bereits vielfältig bestehenden Signatur- und Verschlüsselungspflichten zu überdenken sein, gerade auch im Hinblick auf die (wünschenswerte) Schnelligkeit und Effektivität der prozessualen Information und Kommunikation. Dabei soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Schnelligkeit im Wesentlichen nur "Transportweg und -zeit" der prozessualen Information betrifft, während sich die juristische Prüfung und Verhandlung von streitigen Sachverhalten nur bedingt sinnvoll beschleunigen lässt (s. etwa Patermann, Leserforum, NJW-aktuell 37/2018, S. 10).