1 Rechtspolitik in der neuen Legislaturperiode
"Rechtspolitik in der 20. Legislaturperiode" war das diesjährige Thema der Auftaktveranstaltung des Deutschen Anwaltvereins zum Jahresbeginn 2022. An der – coronabedingt – virtuellen Veranstaltung am 11. Januar nahmen u.a. die DAV-Präsidentin Edith Kindermann, der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann sowie die rechtspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen der SPD, der Grünen und der FDP sowie die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses (CDU) teil.
Vorgestellt wurden zu Beginn der Veranstaltung die rechtspolitischen Pläne der Koalitionsparteien und deren bisherige Konkretisierung, v.a. im Koalitionsvertrag. Die Schwerpunkte der anschließenden Diskussion lagen auf der Digitalisierung der Justiz und der Modernisierung des Strafrechts.
Die bisherigen Vorstöße in Richtung einer audiovisuellen Dokumentation von Gerichtsverfahren stieß bei den Teilnehmern auf Zustimmung, insb., was den Zivilprozess angeht. Etwas verhaltener waren die Diskutanten, was den Strafprozess betrifft. Hier äußerte die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses Winkelmeier-Becker Bedenken. Sie befürchtet u.a., dass die Aussage von Zeugen durch deren Wissen beeinträchtigt werden könnte, dass ihre Vernehmung in Bild und Ton dokumentiert wird. Bundesjustizminister Buschmann teilte diese Befürchtungen aber offenbar nicht. Er kündigte an, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die technischen Möglichkeiten auch zum Einsatz kämen.
Die Modernisierung des Strafrechts wurde von den Teilnehmern als zentrales Anliegen der Koalition genannt. Bestehende Strafrechtsnormen müssten auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche geprüft werden. Hervorgehoben wurde insb. die aktuelle Debatte um die Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten Freigesprochener; hier gelte es, auf verfassungsmäßige Grundsätze zu achten, die das Strafrecht nicht aushöhlen dürfe.
Bei dem Thema Anwaltsvergütung, einem zentralen Anliegen der Anwaltschaft, sind die bisherigen Koalitionspläne vage geblieben. DAV-Präsidentin Kindermann wiederholte hier die Forderung nach einer Anpassung der RVG-Sätze in jeder Legislaturperiode. Auf Zustimmung traf die Feststellung, dass die Anwaltschaft aufgrund ihrer Funktion angemessen vergütet sein müsse. Deutlich wurde allerdings auch, dass die Politiker sich mit konkreten Themen wie etwa dem Erfolgshonorar oder dem Fremdbesitzverbot in dieser Legislaturperiode noch nicht sehr detailliert beschäftigt haben.
[Red.]
2 Mietreduzierungen wegen eines Corona-Lockdowns
Eine überaus wichtige und bisher sehr umstrittene Frage, die die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie betrifft, hat jetzt der Bundesgerichtshof beantwortet: Dürfen Mieter von Geschäftslokalen, die durch einen behördlich angeordneten sog. Lockdown ihre Geschäftstätigkeit vorübergehend einstellen mussten, ihre Miete mindern? Oder haben sie den daraus entstehenden wirtschaftlichen Schaden allein – ohne Beteiligung des Vermieters – zu schultern?
Der BGH hat sich in einem Fall, der eine Filiale des Textildiscounters "KiK" in Sachsen betraf, nun dafür entschieden, eine Minderung zuzulassen und damit das wirtschaftliche Risiko eines Lockdowns zwischen Mieter und Vermieter zu verteilen (vgl. BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21, ZAP EN-Nr. 84/2022 (Ls.), s.a. dazu Flohr, ZAP F. 6 S. 616 f. [in dieser Ausgabe] sowie Horst demnächst in ZAP 4/2022, F. 4). Der BGH möchte keine – leicht handhabbare – pauschale hälftige Teilung vornehmen, wie es eine Reihe von Instanzgerichten in der Vergangenheit getan hat, sondern verlangt stattdessen eine konkrete Prüfung im Einzelfall, welche Nachteile dem Mieter jeweils entstanden sind und welche Kompensationen er erhalten hat.
Der XII. Zivil Senat stellt klar, dass bei einem behördlich angeordneten Lockdown kein Mangel der Mietsache vorliegt, der nach § 536 BGB zur Minderung berechtigen würde. Denn dazu müsste die Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stehen. Das ist nach Auffassung der Richter nicht der Fall, denn durch die betreffende behördliche Allgemeinverfügung wird weder dem Mieter die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume noch dem Vermieter tatsächlich oder rechtlich die Überlassung verboten.
Allerdings sieht der Senat in den behördlich angeordneten Geschäftsschließungen eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB. Durch die vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben sei die sog. große Geschäftsgrundlage betroffen, also die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde.
Um eine "Überkompensation" für den Mieter von Geschäftsräumen zu vermeiden, bedürfe es einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Neben den Nachteilen, die der Mieter durch d...