Auch diese Ausgabe des Berufsrechtsreports fasst bedeutsame rechtspolitische Entwicklungen und wichtige Rechtsprechung im anwaltlichen Berufsrecht des Vorjahrs (s.a. Grunewald NJW 2021, 3696 ff.) zusammen und ordnet diese ein. Sie knüpft insofern an die Ausführungen in ZAP 2021, 9 ff. an. Im vergangenen Jahr bestand dabei die Besonderheit, dass einige bereits Ende 2020 angestoßene Reformvorhaben – mit nur noch wenigen Änderungen und ohne größere Debatten – vollendet wurden. In der Folge haben sich sowohl das anwaltliche Gesellschaftsrecht (dazu II. 1.) als auch die Rahmenbedingungen von Anwälten und Inkassodienstleistern im umkämpften Bereich Legal Tech (dazu II. 2.) in großem Umfang geändert. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie tragfähig dieses neue berufsrechtliche Fundament ist.
Das anwaltliche Berufsrecht wird ab diesem Jahr in der Ausbildung größere Bedeutung erlangen. Im Rahmen der sog. großen BRAO-Reform (dazu II. 1.) wird zum 1.8.2022 mit § 43f BRAO n.F. Rechtsanwälten die Berufspflicht (nicht: Zulassungsvoraussetzung) auferlegt, innerhalb des ersten Jahres nach der erstmaligen Zulassung zur (Syndikus-)Rechtsanwaltschaft an einer Lehrveranstaltung über das rechtsanwaltliche Berufsrecht teilzunehmen (von Lewinski ZAP F. 23, 1225 ff.). Eine solche Lehrveranstaltung, die auch im digitalen Format durchgeführt werden kann (dazu von Lewinski BRAK-Mitt. 2021, 223 ff.), muss mind. zehn Zeitstunden dauern und die wesentlichen Bereiche des anwaltlichen Berufsrechts (Organisation des Berufs, Grundpflichten des Rechtsanwalts, Aufklärungs- und Informationspflichten gegenüber der Mandantschaft, Berufsaufsicht und berufsrechtliche Sanktionen, Grundzüge des anwaltlichen Haftungsrechts) umfassen (BT-Drucks 19/30516, S. 45), wobei die Satzungsversammlung der BRAK ermächtigt wird, Näheres zu regeln (§ 59a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. h BRAO n.F.). Mit der Neuregelung wird das überzeugende Ziel verfolgt, dass Rechtsanwälte zeitnah nach ihrer Zulassung die erforderlichen Kenntnisse im anwaltlichen Berufsrecht erwerben. Denn eine anwaltliche Berufsausübung ohne hinreichende Kenntnis des Berufsrechts kann die Interessen der Rechtsuchenden und der Rechtspflege gefährden. Zu beachten ist allerdings, dass die neu geschaffene Berufspflicht nur für Rechtsanwälte greift, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erstmalig zugelassen werden. Außerdem wird der Besuch einer vergleichbaren Lehrveranstaltung in den sieben Jahren vor der Zulassung anerkannt. Mit einer solch großzügigen Fristenregelung soll ein Anreiz für entsprechende Lehrangebote bereits im Studium oder im Referendariat geschaffen werden. Dass Kenntnisse, die bis zu sieben Jahre vor der Zulassung erworben worden sind, mit der Zeit verblassen oder nicht mehr aktuell sind, nimmt der Gesetzgeber bewusst hin, um nicht zu hohe Hürden für angehende Rechtsanwälte zu errichten.
Nach einer mit Wirkung v. 17.2.2022 erfolgten Änderung des Justizausbildungsgesetzes (Zweites Gesetz zur Änderung des Juristenausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 9.11.2021, GV. NRW. 2021, S. 1189 ff.) zählen in Nordrhein-Westfalen künftig "die anwaltlichen Berufsregeln und Grundpflichten nach der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Berufsordnung der Rechtsanwälte sowie das anwaltliche Gebührenrecht" – jeweils im Überblick – zum Pflichtfachstoff der zweiten juristischen Staatsprüfung (§ 52 Abs. 1 Nr. 7 JAG NRW n.F).