Gemäß § 57 Abs. 1 S. 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe (bei lebenslanger Freiheitsstrafe gilt § 57a StGB) zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe, mind. jedoch zwei Monate, verbüßt sind, die Aussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und die verurteilte Person einwilligt. Bei der Entscheidung sind insb. die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
Hinweis:
Werden mehrere Freiheitsstrafen vollstreckt, ist der gemeinsame Zweidrittelzeitpunkt maßgebend. Die Strafvollstreckungskammer trifft dann die Entscheidung nach § 57 StGB erst, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen gleichzeitig entschieden werden kann (§ 454b Abs. 4 StPO).
Sind die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 S. 1 StGB allesamt gegeben, ist das Gericht zur Aussetzung des Strafrechts verpflichtet, es besteht dann anders als bei der Halbstrafenaussetzung nach § 57 Abs. 2 StGB kein Ermessensspielraum (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 57 StGB, Rn 20 [nachfolgend Fischer]).
1. Einwilligung
Grundvoraussetzung für eine vorzeitige Entlassung ist zunächst die Einwilligung des Verurteilten. Liegt eine solche nicht vor, scheidet eine Reststrafenaussetzung zwingend aus, die weiteren Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB werden dann nicht geprüft. Auch erfolgt keine Anhörung des Verurteilten (OLG Celle, Beschl. v. 23.6.2017 – 1 Ws 69/17).
An eine einmal erteilte Einwilligung ist der Verurteilte nicht gebunden, sondern er kann diese bis zur Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung frei widerrufen und so das Verfahren zur bedingten Entlassung selbst beenden (BGH, Beschl. v. 23.9.2020 – 2 ARs 254/20). Aus welchen Gründen er dies tut, spielt keine Rolle.
2. Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe
Darüber hinaus müssen von der verhängten Strafe zwei Drittel, mind. jedoch zwei Monate, verbüßt sein. Vorher kommt nur eine vorzeitige Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt unter den erweiterten Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 StGB in Betracht (s.u.).
Hinweis:
Der Zweidrittelzeitpunkt kann bereits während der Hauptverhandlung relevant sein. Denn das Gericht hat bei der Frage der Haftfortdauer auch eine mögliche Aussetzung des Strafrests zur Bewährung zu bedenken, wenngleich es sich insoweit nicht um eine starre Grenze handelt, ab deren Erreichen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stets ausscheidet (BGH, Beschl. v. 20.4.2022 – StB 16/22). Das Erreichen des Zweidrittelzeitpunkts führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs (BGH, Beschl. v. 3.11.2022 – StB 49/22). Stattdessen steht dem Tatgericht, das aus der Hauptverhandlung einen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten gewonnen hat, ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser Spielraum ist nicht überschritten, wenn das Gericht aufgrund des Verhaltens des Angeklagten im Verfahren davon ausgeht, dass einer späteren Reststrafenaussetzung das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit (hierzu sogleich) entgegenstehen wird (BGH, Beschl. v. 4.7.2022 – StB 27/22).
3. Verantwortbarkeit der bedingten Entlassung
Die bedingte Haftentlassung setzt weiter voraus, dass die Haftentlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Dabei ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Strafvollzugs für das künftige Leben des Verurteilten in Freiheit einerseits und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit, die stets im Auge behalten werden müssen, andererseits (BGH NStZ-RR 2003, 200; OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2020 – 3 Ws 67/20).
Diese Abwägung muss zu dem Ergebnis führen, dass bei dem Verurteilten eine realistische Chance auf künftige straffreie Lebensführung besteht; sein bloßer Wille hierzu ist unzureichend (KG, Beschl. v. 6.2.2020 – 5 Ws 215/19). Zudem gilt im Verfahren über die Reststrafenaussetzung die In-dubio-Regel nicht (BGH, Beschl. v. 22.2.2022 – StB 1/22 u. Beschl. v. 15.12.2020 – StB 45/20 m.w.N.), verbleibende Zweifel an der Verantwortbarkeit der Reststrafenaussetzung zur Bewährung gehen daher zulasten des Verurteilten.
Hinweis:
Allerdings darf auch keine absolute Gewissheit künftiger Straffreiheit verlangt werden, sondern es genügt die naheliegende Aussicht auf ein positives Ergebnis (OLG Bamberg, Beschl. v. 16.3.2016 – 1 Ws 167/16; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.9.2013 – 3 Ws 277/13; Fischer, § 57, Rn 14).
a) Prognosemaßstab
In welchem Maße es wahrscheinlich sein muss, dass der Verurteilte nicht wieder straffällig wird, ist nicht einheitlich zu beurteilen, sondern es sind je nach der Schwere der im Falle eines Bewährungsbruchs zu befürchtenden Straftaten unterschiedliche Anforderungen zu stellen (BGH NStZ-RR 2003, 200; KG, Beschl. v. 6.2.2020 – 5 Ws 215/19 m.w.N.; OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2020 – 3 Ws 67/20; OLG Bamberg, a.a.O.)
Hiervon ausgehend muss die Aussicht auf ein künftig straffreies Ver...