I. Aktive Nutzungspflicht
1. Rechtsanwalt als Betroffener
(BayObLG, Beschl. v. 14.7.2023 – 201 ObOWi 707/23) • Die Pflicht zur Begründung der Rechtsbeschwerde durch ein elektronisches Dokument (§ 32d S. 2 StPO i.V.m. § 110c S. 1 OWiG) gilt zumindest dann auch für den Rechtsanwalt, der selbst Betroffener ist, wenn dieser als Rechtsanwalt auftritt. Wird die Rechtsmittelbegründung ausnahmsweise nicht in elektronischer Form übersandt, ist darzulegen und glaubhaft zu machen, dass im Zeitpunkt der Übersendung eine grds. einsatzbereite technische Infrastruktur zur elektronischen Übermittlung von anwaltlichen Schriftsätzen an die Gerichte existierte und eine nur vorübergehende technische Störung gegeben war (Anschl. an BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 104/22).
Anmerkung: Hier zeigt sich, dass es besser ist, sich nicht selbst zu vertreten. Der Rechtsanwalt, der sich im Straf-/OWi-Verfahren selbst vertritt, muss beA nutzen. Der Rechtsanwalt hatte die Nichtnutzung mit technischen Problemen seines Sicherheitstokens argumentiert, dies jedoch weder fristgerecht noch inhaltlich näher begründet.
2. Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen für Syndikusanwälte
(KG, Urt. v. 14.3.2023 – 7 U 74/22) • § 130d ZPO ist auch für Syndikusrechtsanwälte anzuwenden. Die Vorschrift ist unabhängig davon zu beachten, ob für das konkrete Verfahren Anwaltszwang herrscht oder nicht. Nach § 130d S. 2 ZPO bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, sofern die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Zulässig ist demnach in diesem Fall die Übermittlung in Schriftform oder per Fax i.S.d. §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO. Nach § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO ist diese vorübergehende Unmöglichkeit unmittelbar bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen.
Anmerkung: Auch Syndikusanwälte sind verpflichtet, das beA zu nutzen. Der Versuch des Syndikusanwalts, technische Gründe für die nicht formgerechte Übermittlung vorzuschieben, ist gescheitert. Dieser habe weder bei dem Antrag auf Wiedereinsetzung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht, dass eine technische Störung vorgelegen hat. Pikanterweise kommt in diesem Fall hinzu, dass der Syndikusanwalt als Mandantin die „Die Autobahn GmbH des Bundes” vertreten hat. Diese ist Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland, vertreten in diesem Fall durch den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Ausführungen wurden deswegen auch noch dazu gemacht, ob diese Mandantin nicht als Behörde i.S.d. § 1 Abs. 4 VwVfG anzusehen sei, die ebenfalls den von § 130d S. 1 ZPO gestellten Anforderungen an die elektronische Übermittlung von Schriftsätzen genügen müsse.
Praxistipp:
Syndikusanwälte sind häufig „weit weg” von der forensischen Praxis. Dennoch müssen sie sich ebenso mit dem beA „anfreunden” wie jeder andere zugelassene Rechtsanwalt. Eine Ersatzeinreichung kommt nur dann in Betracht, wenn tatsächlich vorübergehend technische Gründe eine elektronische Einreichung unmöglich machen. Und dann sollte mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht werden, warum eine elektronische Einreichung nicht möglich war.
3. Verpflichtende Kenntnisse zur Nutzung des beA
(LAG Hamm, Beschl. v. 12.1.2023 – 18 Sa 909/22) • Die elektronische Einreichungspflicht nach § 46g ArbGG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. § 46g S. 3 ArbGG sieht eine Ausnahme von der elektronischen Einreichungspflicht für den Fall vor, dass eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, nicht jedoch bei subjektivem Unvermögen des Prozessbevollmächtigten. Rechtsanwälte sind nicht nur nach § 31a Abs. 6 BRAO verpflichtet, die für die Nutzung des beA erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten, vielmehr müssen sie sich auch die Kenntnisse zur Nutzung dieser technischen Einrichtungen aneignen, damit sie die zugestellten Dokumente auch zur Kenntnis nehmen und Schriftsätze im Notfall auch ohne das Sekretariat fristwahrend versenden können. Der Anwalt verletzt seine Sorgfaltspflicht, wenn er sich mit dieser Anwendung nicht hinreichend auseinandersetzt und blind auf das Funktionieren seines Sekretariats vertraut.
Anmerkung: Die Begründung des Rechtsanwalts, in einer arbeitsteilig strukturierten Anwaltssozietät würde eine „vorübergehende technische Störung” auch dann bestehen, wenn das Sekretariat aufgrund der Corona-Erkrankung der einen Sekretärin und des Feierabends der zweiten Sekretärin nicht mehr besetzt sei und die Nutzung des Rechtsanwalt-Softwareprogramms dem Rechtsanwalt nicht vertraut sei, weil die Nutzung des Programms ausschließlich dem Sekretariat zugewiesen war, ließ das Gericht nicht gelten. Eine vorübergehende technische Störung sei nicht mit dem Unvermögen des Einreichers gleichzustellen. Zunächst ging es um die Zustellung des elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB). Der Rechtsanwalt hatte im Einspruchsschriftsatz auf das ihm „am 5.8.2022 zugegangene Versäumnisurteil” Bezug genommen und danach das eEB mit einem Zustelldatum vom 12.8.2022 versehen. Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es nicht auf den Eingang in der Kanzlei, sondern d...