Nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG wird eine für die außergerichtliche Vertretung angefallene Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt die Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG nach dem Wert des Gegenstandes, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. In seiner aktuellen Entscheidung vom 24.10.2023 (VI ZB 39/21) hat sich der BGH zu der bisher umstrittenen Frage geäußert, ob die für die außergerichtliche Geltendmachung mehrerer Hauptforderungen angefallenen Geschäftsgebühren anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, die, wenn nach Zahlung der Hauptforderungen, alleiniger Gegenstand des dann angestrengten gerichtlichen Verfahrens der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten, also gerade dieser Geschäftsgebühren, ist.
1. Der Fall des BGH
In dem vor dem LG Coburg durchgeführten Kostenfestsetzungsverfahren ging es darum, ob bei der Berechnung der von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten die für deren vorgerichtliche Tätigkeit angefallenen 22 Geschäftsgebühren auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG i.V.m. § 15a Abs. 2 Fall 1 RVG in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung anzurechnen sind. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin, eine Partnerschaftsgesellschaft, in der sich Rechtsanwälte zur Berufsausübung zusammengeschlossen haben, ist von einer Leasinggesellschaft außergerichtlich mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus 22 Verkehrsunfällen gegen den beklagten Haftpflichtversicherer beauftragt worden. Dabei waren die jeweils im Eigentum der Leasinggesellschaft stehenden und bei der Beklagten versicherten Fahrzeuge beschädigt worden. Die Unfälle ereigneten sich in den Jahren 2016 und 2017. Mit außergerichtlichen Schreiben machte die Partnerschaftsgesellschaft jeweils den Ersatz des Sachschadens und der zur Durchsetzung dieses Anspruchs vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten – jeweils 1,3 Geschäftsgebühren nach Nr. 2300 VV RVG nebst Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG – geltend. Die Beklagte bezahlte jedoch jeweils nur den Sachschaden, nicht aber die Rechtsanwaltskosten. Die Leasinggesellschaft hatte ihre Ansprüche auf Erstattung dieser Kosten i.H.v. insgesamt 9.175,35 EUR an die Klägerin abgetreten. Die Partnerschaftsgesellschaft machte diese Ansprüche in dem Rechtsstreit vor dem LG Coburg gegen die Beklagte geltend. Im Laufe dieses Verfahrens hat die Beklagte die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 9.175,35 EUR an die Klägerin bezahlt. Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Landgericht Coburg hat der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
In dem hieraufhin eingeleiteten Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin u.a. eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG i.H.v. 725,40 EUR geltend gemacht. Der Rechtspfleger des Landgerichts hat diesen Betrag bei der Kostenfestsetzung in vollem Umfang berücksichtigt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das OLG Bamberg diesen Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert und den von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Betrag um 725,40 EUR reduziert. Dies hat das OLG damit begründet, die vorgerichtlich entstandenen 22 Geschäftsgebühren seien gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV RVG in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung des RVG (entspricht Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV RVG der aktuellen Fassung des RVG) anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, weil die Geschäftsgebühren wegen desselben Gegenstandes entstanden seien wie die Verfahrensgebühr.
Mit ihrer hiergegen gerichteten, vom OLG Bamberg zugelassenen Rechtsbeschwerde blieb die Klägerin vor dem BGH ohne Erfolg.
2. Derselbe Gegenstand
a) Grundsätze
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühren kommt nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG nur dann in Betracht, wenn diese wegen desselben Gegenstands entstanden sind wie die Verfahrensgebühr. Dies hat der BGH bejaht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wird der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im kostenrechtlichen Sinne durch das Recht oder das Rechtsverhältnis definiert, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts i.R.d. ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht. Dabei ist keine formale, sondern eine wertende Betrachtungsweise angezeigt und auf die wirtschaftliche Identität abzustellen. Die Frage, ob eine vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit und die anschließende Klage in diesem Sinne denselben Gegenstand gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG betreffen, ist daher anhand einer wirtschaftlichen Betrachtung zu entscheiden (vgl. BGH AGS 2007, 289 = RVGreport 2007, 220 [Hansens]; RVGreport 2008, 470 [ders.]; zfs 2012, 163, m. Anm. Hansens = AGS 2012, 227 = RVGreport 2012, 72 [ders.]; NJW-RR 2012, 313 = AGS 2012, 223 = RVGreport 2012, 118 [ders.]). Die Anrechnungsbestimmungen von Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG haben ihre Grundlage in dem geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand, de...