Das zügige Lesen und abschließende Sichten von Dokumenten nebst Literatur gehört zweifelsohne zu einer der Primärtugenden jeder anwaltlichen Berufsausübung. Was der Anwalt im Rahmen seines Aktenstudiums liest, entscheidet nur er selbst! Gilt dieses eherne Prinzip dabei aber nur für papiergebundene Dokumente? Hat mithin auch ein Verteidiger ein "Recht auf Aktenberge", wenn ihm die Ermittlungsakte (nebst Spurenakten und TKÜ-Ordnern) dauerhaft lediglich auf elektronischem Wege in Form eines USB-Sticks zur Verfügung gestellt wird und er selbst im Interesse seines (ggf. inhaftierten) Mandanten den Ausdruck sämtlicher Unterlagen in Papierform zum Zwecke der sachgerechten Verteidigung für erforderlich hält? Kann ihm dann wegen des Komplettausdrucks der elektronischen Akte der Kostenbeamte bzw. das Gericht die ggf. vorschüssig nach § 47 RVG verlangte pauschalierte Erstattung seiner Auslagen nach Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG unter Hinweis auf deren fehlende Notwendigkeit verweigern?
In diesem Sinne hat nach dem OLG Rostock (Beschl. v. 4.8.2014 – 20 Ws 193/14) nunmehr auch das OLG Düsseldorf in mehreren Beschlüssen (Beschl. v. 22.9.2014 – 1 Ws 236/14 u.a.) entschieden und entsprechend pauschal geltend gemachte Kopierkosten (obiter dicta) versagt. Stand dabei in Rostock noch ein Aufwand von rund 7.000 EUR für 44.000 Kopien im Raum, erreichte die streitbefangene Erstattungssumme in Düsseldorf bereits atemberaubende 55.000 EUR für rund 300.000 Kopien und soll sich Medienberichten zufolge sogar insgesamt für das Düsseldorfer (Groß-)Verfahren bei 18 Verteidigern auf ein Gebührenvolumen von rund 1,2 Mio. Euro belaufen (vgl. "1,2 Millionen Euro Kopierkosten für Rotlichtprozess", www.rp-online.de v. 24.5.2014). Kann dieser Umfang nun tatsächlich gerechtfertigt sein und wer entscheidet darüber? Oder dient das exzessive Kopieren allein, wovon offenbar die beiden Senate übereinstimmend ausgehen, nur der Schaffung einer zusätzlichen Einnahmequelle zugunsten der Pflichtverteidiger? Immerhin hatte noch das LG Düsseldorf in seinem vorangegangenen Feststellungsbeschluss erklärt, dass es den vollständigen Ausdruck schon aus Gründen der Waffengleichheit als eine zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache grundsätzliche Aufwendung ansieht. Ähnlich sahen es auch andere Gerichte (vgl. LG Aachen, Beschl. v. 16.6.2014 – 67 Kls 901 Js 193/12-11/12; LG Duisburg, Beschl. v. 28.4.2014 – 34 Kls 143 Js 193/10-15/13: "Lesen von 76 Bänden Aktenmaterials am Bildschirm unzumutbar"). Und dies wohl auch zu Recht! Denn Richter und Staatsanwälte verfügen stets über eine vollständig ausgedruckte Akte und sind nicht gezwungen, eingescannte Unterlagen am Bildschirm zu lesen bzw. zu bearbeiten, obwohl, wie das OLG Düsseldorf selbst ausführt, "die elektronische Aktenbearbeitung mittlerweile in weiten Teilen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung Alltag [ist] und den gezielten Zugriff auf bestimmte Informationen erleichtert". Schon gar nicht müssen Richter oder Staatsanwälte im Vorfeld einer Hauptverhandlung begründen, warum sie etwa welche Kopien für erforderlich gehalten haben. Nur dem Verteidiger wird auferlegt, sich zunächst am Bildschirm mit Hilfe der elektronischen Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten und erst auf Grundlage dessen zu entscheiden, welche Aktenbestandteile für die weitere Verteidigung auch in Papierform benötigt werden. Dann hat er auch noch die Notwendigkeit der nach erfolgter Vorabsichtung der elektronischen Akte seiner Ansicht nach erforderlichen Kopien näher darzulegen und glaubhaft zu machen, da insbesondere – so das OLG – bei hohen Kopierkosten seine entsprechende anwaltliche Versicherung nicht mehr ausreichen soll, solange dem Gericht eine Richtigkeitskontrolle nicht möglich sei. Genau letzterem Gesichtspunkt wollte nun im Parallelverfahren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.9.2014 – 1 Ws 247/14 und 1 Ws 283/14) ein Pflichtverteidiger dem Vernehmen nach dadurch Rechnung tragen, dass er kurzerhand samt seiner streitbefangenen 85.000 Kopien beim OLG Düsseldorf zwecks Inaugenscheinnahme durch den Senat erschien. Das OLG – offenbar vorab über sein Erscheinen informiert – verweigerte ihm aber ebenso den Zugang in das Gebäude wie auch ein klärendes Gespräch mit der Senatsvorsitzenden, die für den Verteidiger "nicht zu sprechen" gewesen sein soll. Also musste dieser unverrichteter Dinge wieder gehen und dabei wohl mutmaßen, dass die Senatsvorsitzende entweder keine rheinische Frohnatur sein könne und ihm deshalb – zumal einem Kölner! – ihre Audienz verweigerte oder es sich nur um eine richterliche Retourkutsche dafür gehandelt habe, dass seinerzeit der BGH (Urt. v. 21.10.2010 – RiZ (R) 5/09; Brosch, jurpc-web-dok 1/2011, Abs. 1–28) auch der Richterschaft bescheinigt hatte, dass (auch) für sie ein Arbeiten am Bildschirm nicht per se gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoße und deshalb die Justizverwaltung nicht zum Ausdruck elektronischer Eingaben verpflichtet sei. Bleibt abzuwarten, ob der Verteidiger jetzt die Kopien zum Nachweis per...