Das Prozessgericht kann im Inland selbst Beweis erheben, ohne die Souveränität des anderen Staates zu verletzen, etwa freiwillig erschienene Zeugen aus dem Ausland vernehmen (vgl. Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 363 Rn 9; Dötsch MDR 2011, 269) oder sich via Google-Earth etc. über die Unfallstelle informieren (vgl. Stadler in: Musielak/Voit, § 363 ZPO Rn 9; Berger in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2015, § 363 Rn 14). Auch kann das Prozessgericht den Parteien aufgeben, Beweismittel, über die sie Verfügungsgewalt haben, für die Beweisaufnahme im Inland zur Verfügung zu stellen (vgl. Berger in: Stein/Jonas, § 363 ZPO Rn 9; Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery – Grundfragen des Internationalen Zivilprozeßrechts, 1989, S. 55).
Hinweis:
Eine Erhebung von Beweisen im Ausland lehnt die h.M. in Deutschland hingegen auch dann ab, wenn sie keine Anwendung von Zwang erfordert. Danach kann ein Auslandszeuge beispielsweise nicht schriftlich (vgl. BGH NJW 1984, 2039 f.; OLG Hamm NJW-RR 1988, 703, str.) oder per Videoübertragung (vgl. BGHSt 45, 188 ff.; dazu auch Stadler in: Musielak/Voit, § 128a ZPO Rn 8, str.) im Ausland vernommen werden, und es kann kein Sachverständiger zur Begutachtung ins Ausland geschickt werden (vgl. Hau RIW 2003, 822, 824; a.A. OLG Oldenburg BeckRS 2012, 25081).
Möglicherweise unterliegt dieses restriktive Souveränitätsverständnis derzeit jedoch einem Wandel (in diese Richtung auch Stadler in: Musielak/Voit, § 363 ZPO Rn 9 f.; von Hein in: Rauscher, Art. 1 EG-BewVO Rn 21). In der Rechtssache Lippens (EuGH ABl EU 2012, Nr. C 331, 8 f.) hat der EuGH ausgeführt, dass das Prozessgericht eine Partei, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, nach der lex fori als Zeugen vorladen und vernehmen kann. Allerdings diskutiert diese Entscheidung die Frage einer Souveränitätsverletzung nicht, so dass Zweifel über die Bedeutung dieser Aussage verbleiben. In eine ähnliche Richtung weist freilich auch die Entscheidung ProRail (EuGH ABl EU 2013, Nr. C 114, 11 f.). Darin ging es um die Frage, ob für die Durchführung eines Sachverständigenbeweises im EU-Ausland eine Genehmigung des Rechtshilfestaates nach Art. 17 EG-BewVO eingeholt werden muss. Der EuGH hält die Einholung einer solchen Genehmigung nicht unbedingt für verpflichtend, wenn sich die Untersuchung des Sachverständigen nicht auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt des anderen Mitgliedstaates auswirkt. Danach spricht einiges dafür, dass ein Sachverständiger im Ausland ohne weitere Formalität beispielsweise den öffentlich und frei zugänglichen Unfallort vermessen und dokumentieren kann, wenn er dazu keine Straßensperrungen vornehmen oder sich sonst verkehrswidrig verhalten muss (vgl. allerdings die Einschränkung nach § 63 Abs. 1 Rechtshilfeordnung für Zivilsachen – ZRHO).