Gelangt das Kollisionsrecht zur Anwendung ausländischen Sachrechts, muss das Gericht dieses zwingend anwenden (vgl. BGH NJW 1998, 1321 f.; BGH NJW 1996, 54 f.). Dabei muss es die konkrete Ausgestaltung des ausländischen Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen (vgl. BGH MDR 2014, 362 f.; BGH MDR 2013, 866 f.).
1. Einholung eines Sachverständigengutachtens
Die Ermittlung des ausländischen Rechts durch Einholung eines Rechtsgutachtens ist in Deutschland die Regel. Sie liefert vergleichsweise verlässliche und individuell auf den konkreten Fall zugeschnittene Ergebnisse. Das ist allerdings nicht ganz ungefährlich. Wenn der Sachverständige den Fall schon "gelöst" hat, was soll der rechtsunkundige Richter dem noch entgegensetzen (kritisch deshalb etwa Schütze in: Wieczorek/Schütze, ZPO und Nebengesetze, 4. Aufl. 2013, § 293 ZPO Rn 32; Arens in: FS für Zajtay, 1982, S. 7, 19 f.)? Nachteilig ist auch der hohe Kosten- und Zeitaufwand. Besondere Erschwernisse ergeben sich, wenn der Fall auch in tatsächlicher Hinsicht aufklärungsbedürftig ist. Erhebt das Gericht beispielsweise zuerst Beweis über den Unfallhergang und holt anschließend ein Rechtsgutachten ein, kann es vorkommen, dass sich erst anhand des Rechtsgutachtens herausstellt, dass nicht über alle entscheidungserheblichen Tatsachen Beweis erhoben wurde.
2. Kenntnis des ausländischen Rechts oder freibeweisliche Ermittlung
§ 293 S. 1, 2 ZPO gestatten dem Gericht grundsätzlich, das ausländische Recht quasi freibeweislich auch ohne Einholung eines Rechtsgutachtens zu ermitteln. Danach kann das Gericht z.B. Literatur und Entscheidungssammlungen studieren (vgl. dazu etwa Geimer in: Zöller, § 293 Rn 20; Lindacher in: FS für Schumann, 2001, S. 283), ausländische Kollegen befragen (vgl. Kindl ZZP 111, 177, 187 f.), amtliche Auskünfte einholen etc. (vgl. etwa Nagel/Gottwald in: Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2013, § 11 Rn 30; Kindl ZZP 111, 177, 186 ff.). Auch die in früheren Verfahren eingeholten Rechtsgutachten können verwertet werden.
Dieser Weg ist freilich besonders anspruchsvoll. Zwar gibt es mittlerweile verschiedene Abhandlungen zum ausländischen Verkehrsunfallrecht in deutscher Sprache (vgl. etwa die Beiträge in Neidhart, Unfall im Ausland, 5. Aufl. 2007; Feyock/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. 2009; Bachmeier; Ausländischer Anwaltverein in Deutschland e.V., Schadensregulierung bei Verkehrsunfällen in Europa; Lemor in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 5. Aufl. 2014, Teil 1 Kap. 3). Aber die große Vielfalt der möglichen Fallkonstellationen vermögen sie häufig nicht vollständig abzubilden. Der Richter muss deshalb i.d.R. auch ausländische Primärquellen auswerten. Das erfordert Fremdsprachenkenntnisse und ein erweitertes Grundverständnis der jeweiligen Rechtsordnung. Zu groß ist ansonsten die Gefahr unbewusster Übernahmen aus der eigenen Rechtsordnung. Die Selbstermittlung des ausländischen Rechts kann deshalb regelmäßig nur in einfacher gelagerten Fällen ernsthaft in Betracht gezogen werden, und auch das nur, wenn gewisse Vorkehrungen getroffen sind. Dazu gehören:
- das Vorhalten einer Literaturauswahl zum Recht der häufig betroffenen Nachbarstaaten,
- die Einrichtung von Spezialzuständigkeiten in Straßenverkehrssachen (vgl. dazu auch schon Luther RabelZ 37, 660, 668; Schack, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2014, Rn 711 m.w.N.),
- die Erfassung von Rechtsgutachten aus früheren Verfahren,
- das Veröffentlichen einschlägiger Entscheidungen, um sie für andere Gerichte fruchtbar (aber auch einer kritischen Rezension zugänglich) zu machen,
- der Aufbau eines Netzwerkes mit ausländischen Richterkollegen.
Praxishinweis:
Schließlich sollten die Parteien das Gericht schon aus eigenem Antrieb bei der Ermittlung des ausländischen Rechts unterstützen. Die damit verbundenen Chancen werden in der Praxis kaum genutzt.
3. Europäisches Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht
Die Einholung von Rechtsauskünften nach dem Londoner Übereinkommen hat den Vorteil, dass die Rechtslage von einem Sachbearbeiter aus der jeweiligen Rechtsordnung dargestellt wird. Die Gefahr unbewusster Fehlschlüsse wird damit weitgehend gebannt. Das Verfahren ist auch vergleichsweise kostengünstig, wenn die Empfangsstelle die Auskunft selbst erteilt.
Hinweis:
Der Übermittlungsweg über Übermittlungs- und Empfangsstellen ist allerdings zeitaufwendig. Auch besteht keine Möglichkeit zur mündlichen Erläuterung der Auskunft (§ 4 AuRAG). Hinzu kommt, dass das Übereinkommen nur eine Antwort auf abstrakte Rechtsfragen, losgelöst vom konkreten Fall vorsieht (vgl. Schütze in: Wieczorek/Schütze, § 293 ZPO Rn 26; Schack, Rn 709). Das Übereinkommen wird deshalb in der Praxis kaum genutzt (vgl. Prütting in: MüKo-ZPO, § 293 Rn 46; Schack, Rn 709).
4. Europäisches Justizielles Netz
Das Europäische Justizielle Netz (EJN, vgl. Entscheidung des Rates vom 28.5.2001, ABl EG 27.6.2001 L 174/25) will den Gerichten unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel einen schnellen und unbürokratischen Zugang zum Recht in der EU eröffnen. Allerdings spielt das Netz die Potentiale der Netzwerkbildung bei weitem noch nicht aus. ...