Vom beA-Desaster soll hier nicht die Rede sein (lesenswert hierzu Erbguth JurPC Web-Dok. 13/2018). Unbill droht auch von einer ganz anderen und unerwarteten Seite, wie eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden zeigt (Urt. v. 12.7.2017 – 6 K 335/17.WI.A, JurPC Web-Dok. 171/2017).
Für den Kläger hat sein Bevollmächtigter per EGVP Asylklage erhoben. Das Gericht hat die Klage ausgedruckt und einen sog. Transfervermerk beigefügt. Nach § 55b Abs. 4 S. 2 VwGO a.F. musste ein Ausdruck eines elektronischen Dokuments den Vermerk enthalten, welches Ergebnis die Integritätsprüfung des Dokuments aufweist: Wen weist die Signaturprüfung als Inhaber der Signatur aus und welcher Zeitpunkt ist für die Anbringung der Signatur angegeben? Dies gilt nach § 55b Abs. 4 VwGO auch in der seit 1.1.2018 geltenden Fassung noch immer, falls das Dokument nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg (siehe dazu § 55a Abs. 4 VwGO) eingereicht wurde.
Die Geschäftsordnung für die Gerichte und Staatsanwaltschaften Hessen (GO) sieht – auch noch in der seit 1.1.2018 gültigen Fassung (Justiz-Ministerial-Blatt für Hessen 2018, S. 113) – vor, dass das Prüfprotokoll der Nachricht und das Prüfprotokoll der signierten Anhänge nur dann ausgedruckt werden, wenn der Gesamtstatus nicht „gültig“ ist (§ 67 Abs. 1 S. 3 GO), sowie dass der elektronische Eingang – samt der Signatur – spätestens vier Wochen nach Eingang automatisiert gelöscht wird (§ 67 Abs. 1 S. 6 GO).
Mithin ist eine nachträgliche Überprüfung, ob eine qualifizierte Signatur vorlag und von wem sie stammt, nicht mehr möglich. Das Prüfprotokoll wird nicht gedruckt. Die eingereichten Dateien werden samt Signaturdatei gelöscht. Dem Gericht wird durch die Justizverwaltung und die Handhabung ihrer EDV die Möglichkeit genommen, die Ordnungsgemäßheit der Klageerhebung zu überprüfen.
Auf das Versagen der Justizverwaltung als Teil der zweiten Gewalt kam es in diesem Fall nur deshalb nicht an, weil der Bevollmächtigte des Klägers die Klageschrift in weiser Voraussicht eigenhändig unterschrieben, eingescannt und den Scan noch einmal bei dem Versand über das EGVP qualifiziert signiert hatte. Die im Original unterschriebenen Klageschriftsätze legte er dem Verwaltungsgericht nach Beanstandung der Signatur vor.
Der Fall macht bewusst, dass in Deutschland die nationale Verfassungslage nur die funktionale richterliche Unabhängigkeit, nicht aber eine institutionelle Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit als Ganzes gewährleistet. Die Richter sind zwar unabhängig in ihrer Entscheidungsfindung, in Bezug auf die zur Verfügung stehenden sachlichen und personellen Ressourcen aber abhängig von der zweiten Instanz. Letztere ist es, welche darüber befindet, wie im Einzelnen die (elektronischen) Akten geführt werden.
Die hessische GO ist der Meinung, elektronische Eingänge samt Signatur dürften „spätestens“ vier Wochen nach dem Ausdruck automatisiert gelöscht werden. Nachdem die elektronische Form die Schriftform materiell (§ 126a BGB) und prozessual (§ 130a ZPO) ersetzt, entspricht dies der Anweisung, das Original eines Eingangs auf Papier zu vernichten, nachdem man ihn eingescannt hat. Die GO war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gesetzwidrig, denn (auch elektronische) Originaldokumente waren nach § 55b Abs. 3 VwGO a.F. ebenso wie nach § 298 Abs. 3 ZPO a.F. mindestens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aufzubewahren.
Das hat der Gesetzgeber jedoch zum 1.1.2018 aus letztlich nicht nachvollziehbaren Gründen geändert: Werden die Gerichtsakten in Papierform geführt, kann ein eingereichtes elektronisches Dokument sowohl nach § 55b Abs. 3 VwGO wie nach § 298 Abs. 4 ZPO nunmehr nach Ablauf von sechs Monaten gelöscht werden. Die hessische GO ist somit „nur“ noch im Hinblick auf die Frist gesetzwidrig.
Nach aktuellem Prozessrecht ist es also nunmehr die Legislative, welche es der Exekutive gestattet, der Judikative die Arbeitsgrundlage zu entziehen, indem sie es ausdrücklich erlaubt, die prüfbaren Originale elektronischer Dokumente noch während des Verfahrens zu vernichten. Steht künftig im Streit, ob eine Klage, eine Berufung oder ein anderer bestimmender Schriftsatz ordnungsgemäß eingereicht wurde, insbesondere, ob das Schriftstück im Anwaltsprozess wirksam von einem Rechtsanwalt signiert wurde, dann haben die Gerichte, insbesondere das Berufungs- und das Revisionsgericht, keine Möglichkeit mehr, dies selbst zu überprüfen. Wesentliche Teile der Akte sind schlicht nicht mehr vorhanden.
Bei Anwendung größter anwaltlicher Vorsicht ist zu raten, wie der Kollege im Fall des VG Wiesbaden zu verfahren und Schriftsätze stets zu drucken, eigenhändig zu unterzeichnen, einzuscannen, zu signieren und dann über das beA (so es wieder funktioniert) oder das EGVP einzureichen und das Original nebst Empfangsbestätigung des beA/des EGVP physisch aufzubewahren. Die Vorteile einer anwaltlichen elektronischen Akte gibt es dann natürlich nicht mehr. Die Digitalisierung führt vielmehr zu einem Mehraufwand. In der Praxi...