Immer wieder kommt es in Kindschaftsverfahren – vor allem im Rahmen von Entscheidungen nach §§ 1666, 1666a BGB auf (Teilrechts-)Sorgeentzug wegen Kindeswohlgefährdung und nach § 1631b BGB wegen geschlossen stationärer Unterbringung Minderjähriger im Jugendhilfebereich – zu Kollisionen bei der Umsetzung rechtskräftiger familiengerichtlicher Beschlüsse mit dem jeweils zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, meist dem zuständigen Jugendamt.
Rechtlich verantwortlich hierfür ist § 36a Abs. 1 S. 1 SGB VIII, das sog. Steuer- und Leitprinzip der Jugendhilfe: "Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden."
Bereits aus der Formulierung des 2. Halbsatzes ergibt sich die Gefahr einer Durchbrechung des verfassungsrechtlich garantierten Gewaltenteilungsprinzips. Im Ergebnis können damit Entscheidungen der hierarchisch gebundenen Jugendhilfe, also der Exekutive, über – im Rahmen richterlicher Unabhängigkeit getroffene – richterliche Entscheidungen gestellt werden. Mit der Folge, dass erstens Eltern, Jugendliche oder junge Volljährige, wenn sie dagegen vorgehen wollen, zusätzlich den Verwaltungsrechtsweg beschreiten müssen und zweitens die von den Familiengerichten angeordneten Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Hierzu zwei konkrete Fälle aus der Praxis:
1. Im Rahmen von Kindeswohlgefährdungen hat das Familiengericht unter strikter Anwendung des Gebots der Verhältnismäßigkeit, das auf Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG basiert und als rechtsstaatliches Prinzip für jede hoheitliche Gewalt verbindlich ist, mildere Eingriffsmittel im Rahmen einer Abwägung von Rechtsprinzipien zu prüfen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge ist daher nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich bei ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig (BGH, Beschl. v. 23.11.2016 – XII ZB 149/16). Es dürfen keine milderen Mittel verfügbar sein (BVerfG, Beschl. v. 27.8.2014 – 1 BvR 1822/14), die durch helfende Maßnahmen die Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern ermöglichen. Entscheidungen sind ausschließlich an Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 GG zu messen.
Angesichts des Steuer- und Leitprinzips des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe nach § 36a SGB VIII kann das Jugendamt aber gerichtlich angeordnete ambulante Maßnahmen als geringeres Mittel des Eingriffs (z.B. hochtaktiger Einsatz einer ambulanten Erziehungshilfe) aus seiner fachlichen Sicht ablehnen. Ob die Gewährung öffentlicher Hilfen als geringeres Mittel infrage kommt, ist vom Familiengericht sogar dann zu prüfen, wenn das Jugendamt diese bereits mangels Aussicht auf Erfolg oder aus Kostengesichtspunkten eingestellt hat (BVerfG, Beschl. 22.5.2014 – 1 BvR 2882/13).
In beiden Fällen können die betroffenen Eltern nur auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen werden, das Familiengericht muss das Verfahren nach § 21 FamFG aussetzen oder akzeptieren, dass – letztlich im Rahmen eines Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzip – die bereits rechtskräftige richterliche Entscheidung nicht umgesetzt wird. In Fällen, in denen Eltern um die Rückführung eines gegen ihren Willen fremd untergebrachten Kindes kämpfen, halte ich dies angesichts des Zeitdrucks und der bekannten Bindungstheorien für rechts- bzw. verfassungswidrig.
In Fällen, in denen das Familiengericht hinsichtlich einer Eingriffsmaßnahme zum Wohle des Kindes zu einer anderen Einschätzung als das Jugendamt kommt, wird die gerichtliche Entscheidung mangels Kostenzusage des Trägers der Jugendhilfemaßnahme nicht umgesetzt und damit die Gefährdung des Kindes nicht beseitigt. Angesichts der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann das Familiengericht nicht unter Außerachtlassung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die höhere Eingriffsschwelle betreten, nur weil das Jugendamt dies wünscht. Darüber hinaus führt bei nicht kooperierenden Eltern ein derartiger "Helferstreit" vor dem Hintergrund des Ziels, mit gezielten Eingriffsmaßnahmen die elterliche Autonomie wiederherzustellen, in ein pädagogisches Desaster.
Ein "Schelm" wäre, der zu denken wagt, dass manche Ablehnungsentscheidung sehr kostenintensiver Maßnahmen nicht aus Gründen des Kindeswohls, sondern mit Rücksicht auf den Kostenhaushalt getroffen wird.
2. Ebenso drastische Folgen für das Kindeswohl können in seltenen Fällen bei der geschlossen stationären Unterbringung Minderjähriger entstehen. Nach Erlass ei...