I. Vorbemerkung
1. Gesetzgebungsverfahren
Das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019" ist am 13.12.2019 in Kraft getreten (BGBl I, S. 2121). Das Gesetz hat eine ganze Reihe – zum Teil wesentlicher – Änderungen in der StPO gebracht. Zu den das Ermittlungsverfahren betreffenden Änderungen s. Teil 1: Ermittlungsverfahren (ZAP F. 22, S. 997 ff.); der vorliegende zweite Teil schließt hieran an und stellt die wichtigsten Änderungen für die Hauptverhandlung vor.
Hinweis:
Da es sich um Verfahrensrecht handelt, sind die neuen Regelungen auch in den bereits laufenden Strafverfahren anzuwenden.
2. Wesentlicher Inhalt der Neuregelung
Das Gesetz trägt zwar den Begriff "Modernisierung" im Namen, sein Ziel ist aber nicht ein moderneres Strafverfahren, was man z.B. mit einer technisch ohne Weiteres möglichen Dokumentation der Hauptverhandlung erreicht hätte, sondern im Wesentlichen, das Strafverfahren zu beschleunigen und zu verbessern (BT-Drucks 19/14747, S. 1 ff.; vgl. zum Gesetzgebungsverfahren Burhoff ZAP F. 22, S. 997 f.). Dazu ist für die Hauptverhandlung auf folgende Punkte hinzuweisen:
- Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung.
- Für Besetzungsrügen ist ein Vorabentscheidungsverfahren eingeführt worden (wegen der Einzelh. s.u. III).
- Das geänderte Befangenheitsrecht sieht vor, den abgelehnten Richter ohne Beschränkung während der Hauptverhandlung mitwirken zu lassen. Über den Befangenheitsantrag soll im Grundsatz spätestens bis vor Ablauf von zwei Wochen entschieden werden (wegen der Einzelh. s.u. II).
- Im Beweisantragsrecht sollen Beweisersuchen, die mit dem Ziel der Prozessverschleppung gestellt werden, nicht mehr als Beweisantrag abgelehnt werden müssen. Auch soll es für die Prozessverschleppungsabsicht ohne Bedeutung sein, ob die Hauptverhandlung zu einer wesentlichen oder erheblichen Verzögerung führen würde (vgl. wegen der Einzelh. u. V).
- Künftig sollen auch Mutterschutz und Elternzeit Gründe dafür sein, den Lauf der Unterbrechungsfrist bis zu einer Dauer von zwei Monaten zu hemmen (vgl. wegen der Einzelh. u. IV).
Verhüllungsverbot:
Es soll den Verfahrensbeteiligten in Gerichtsverhandlungen generell verboten werden, ihr Gesicht ganz oder teilweise zu verdecken.
Stärkung des Opferschutzes:
Zur Stärkung der Opferschutzes im Strafverfahren ist die Möglichkeit der audiovisuellen Vernehmung der (vermeintlichen) Opfer bestimmter schwerer Straftaten auf Vernehmungen von zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten ausgedehnt worden (vgl. dazu schon ZAP F. 22, S. 1003 ff.). Diese Änderung hat eine Änderung bei der Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen zur Folge (vgl. u. VII).
II. Änderungen im Ablehnungsrecht (§§ 25, 26, 29 StPO)
Änderungen im Überblick:
- Normen: §§ 25, 26, 29 StPO
Regelungsgehalt:
- Zeitpunkt der Antragstellung (§ 25 StPO)
- Teilnahme des abgelehnten Richters an der Hauptverhandlung (§ 29 StPO)
- weiterer Gang der Hauptverhandlung (§ 29 StPO)
- Verteidigerstrategie: Beanstandung; Verfahrensrüge?
1. Neuregelung
Das Ablehnungsverfahren ist zuletzt durch das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 320) geändert worden (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 22, S. 908 ff.). Hier hat das "Modernisierungs-Gesetz" weitere – tiefgreifende – Einschnitte/Änderungen gebracht, die mit – angeblich zu viel – missbräuchlich gestellten Befangenheitsanträgen und einer weiteren Beschleunigung des Strafverfahrens begründet worden sind (vgl. dazu BT-Drucks 19/14747, S. 21 f.). Zur Beseitigung dieses "Störpotenzials" hat das Gesetz Änderungen/Einschnitte vorgenommen beim Ablehnungszeitpunkt (§ 25 StPO; vgl. dazu II 2) und beim Ablehnungsverfahren (§ 29 StPO; vgl. dazu II 3).
2. Ablehnungszeitpunkt (§§ 25, 26 StPO)
a) Allgemeines
§ 25 Abs. 1 S. 1 StPO a.F. sah bislang vor, dass Befangenheitsanträge, deren Gründe vor oder bis zu Beginn der Hauptverhandlung entstanden und bekannt geworden waren, erst bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse gestellt werden mussten. Eine Pflicht, bereits bekannte Ablehnungsgesuche unverzüglich schon vor Beginn der Hauptverhandlung anzubringen, bestand nicht. Das ist für einige Verfahren geändert worden.
b) Sachlicher Anwendungsbereich
Die neue Regelung in § 25 Abs. 1 S. 2 StPO sieht vor, dass in Verfahren, in denen die Besetzung nach § 222a Abs. 1 S. 2 StPO vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden ist, Befangenheitsgründe, die dem Ablehnungsberechtigten vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt geworden sind, nunmehr unverzüglich anzubringen sind.
Hinweise:
Da die sog. Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO nur in erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG und dem OLG erforderlich ist, gilt dieser frühzeitige Ablehnungszeitpunkt also grds. nur für dieses Verfahren. In allen anderen Verfahren, z.B. beim AG, bleibt es also bei der Regelung des § 25 Abs. 1 S. 1 StPO (dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn 160 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]).
Für die Unverzüglichkeit i.e.S. (§ 121 BGB) haben sich keine Änderungen ergeben. Es gilt das bei Burhoff, HV, Rn 168 ff. m.w.N. Ausgeführte weiterhin.
c) "Unverzüglichkeitsfrist"
Nach der Gesetzesbegründung (vgl. dazu BT-Drucks 19/14747, S. 22) b...