Zusammenfassung
- Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
- Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grds. ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.
- Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
(amtliche Leitsätze)
BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21 (ZAP EN-Nr. 84/2022)
I. Das neue Urteil des BGH vom 12.1.2022
Mit Urt. v. 12.1.2022 (XII ZR 8/21) hat der BGH zu einer Mietreduktion als Folge einer coronabedingten behördlich verfügten Geschäftsschließung Stellung genommen. Danach gilt Folgendes:
Als Ausgangspunkt bleibt die Miete grds. in voller Höhe fällig (Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Erleidet der Mieter wegen der infektionsschutzrechtlich motivierten Geschäftsschließung Umsatzeinbußen, so kann er einen Anpassungsanspruch (Mietreduktion) im Hinblick auf die Mietforderung nach § 313 Abs. 1 S. 1 BGB geltend machen, wenn sich die Fortführung des Vertrags zu den bisherigen Konditionen (ungekürzte Miete) als für ihn unzumutbar erweist. Denn der BGH sieht in dem behördlichen Schließungsgebot eine Störung der Geschäftsgrundlage, keinen Sachmangel und auch keinen Fall der Unmöglichkeit einer vertraglichen Leistungserbringung.
Der Unzumutbarkeitsschluss ist durch eine Abwägung aller konkreten Umstände des Einzelfalls zu gewinnen und nicht pauschal anzunehmen (Rn 53, 57 der Entscheidungsgründe m.w.N.). Dazu muss zunächst der Mieter die zugrunde liegenden Tatsachen unter Beweisantritt vortragen. Maßgeblich ist dabei im Falle einer Filialkette eine fokussierte Betrachtung auf die jeweils geschlossene Filiale, nicht auf die gesamte Konzernstruktur. Der BGH (Rn 58 ff. der Entscheidungsgründe) nennt als Beispiele:
- den konkreten Rückgang des Umsatzes für die Zeit der Schließung; bei einer geschlossenen Filiale wird nicht auf den Konzernumsatz abgestellt – eine "Quersubventionierung" wird dem Gewerbemieter also nicht zugemutet;
- umgesetzte Maßnahmen des Mieters zur Eindämmung der drohenden Verluste während der Geschäftsschließung;
- weitere denkbare (nicht umgesetzte) Maßnahmen des Mieters zur Abfederung drohender Verluste;
- finanzielle Vorteile aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile; behauptet der Mieter keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er dies und einzelne Anstrengungen seines vergeblichen Bemühens ebenfalls unter Beweisantritt vortragen; andernfalls wird der Erhalt staatlicher Unterstützungsleistungen unterstellt;
- Leistungen aus einer Einstandspflicht einer Betriebsversicherung (dazu auch BGH, Urt. v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21);
- außer Betracht bleiben Unterstützungsmaßnahmen auf der Basis von Überbrückungsdarlehen; denn sie müssen vom Mieter zurückgezahlt werden.
Aus dem Vortrag muss sich keine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ergeben.
Demgegenüber zu stellen sind die Interessen des Vermieters an dem vollständigen Eingang der Miete (Rn 60 der Entscheidungsgründe – wird nicht weiter ausgeführt). So kann er z.B. unter Beweisantritt vortragen, die vom Mieter behaupteten Verluste beruhten nicht auf der COVID-19-Pandemie (Rn 61 am Ende m.w.N).
II. Inhalt des Anpassungsanspruchs weiter unklar
Weil diese Umstände näher aufzuklären waren, hat der BGH in der Sache zurückverwiesen. Folgerichtig wurde nicht entschieden, wie ein Vertrag inhaltlich nach festgestelltem Anpassungsanspruch anzupassen ist. Besonders zu hinterfragen ist deshalb der Inhalt des Anpassungsanspruchs (z.B. Stundung, Reduzierung oder Wegfall der Miete, Neudefinition des Vertragsgegenstandes, Reduzierung der Mietfläche, Aufhebung oder Kündigung des Vertrags; zu all diesen Möglichkeiten: BT-Drucks 19/25322, S. 21, 3. Abs). BGH und Gesetzgeber stellen dabei ausdrücklich auf eine zu findende Lösung im Einzelfall ab, "welche die schutzwürdigen Interessen beider Vertragsteile in ein angemessenes Gleichgewicht bringt" (BT-Drucks 19/25322, S. 21, 3. Abs.). Ob und in welchem Maß die Mietforderung beeinflusst wird,’klärt sich deshalb erst durch ein rechtskräftig gewordenes richterliches Judiz. Dieses Damoklesschwert schwebt weiterhin über beiden Vertragsparteien. Gegenüber dem Zahlungsanspruch und der zahlungsverzugsbedingten Kündigung des Vermieters ist der Anpassungsanspruch des Mieters einredeweise zu erheben, muss aber auch geltend gemacht werden.
III. Folgerungen
Streitentscheidend Neues bringt d...