Das Bundesjustizministerium plant, die strafprozessuale Hauptverhandlung künftig digital zu dokumentieren. Begonnen werden soll damit einführungsweise 2026 bei den Staatsschutzsenaten, ab 2030 soll die audiovisuelle Aufzeichnung der Verfahren dann flächendeckend in die Strafgerichtsbarkeit Einzug halten (vgl. zum Gesetzentwurf Anwaltsmagazin ZAP 2022, 1254).
Während die Anwaltschaft die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung im Grundsatz begrüßt und lediglich bei der näheren Ausgestaltung mitreden möchte, hat sich an anderer Stelle bereits massiver Widerstand formiert. Nach der Opferhilfeorganisation „Weißer Ring” (vgl. dazu Anwaltsmagazin ZAP 2023, 55) haben nun auch die Richter und Staatsanwälte gegen die Pläne des Bundesjustizministeriums mobil gemacht. In ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf fahren etwa die Generalstaatsanwaltschaften schwere Geschütze auf: Das Vorhaben sei von der Praxis „einhellig” abgelehnt worden, wird darin behauptet. Der Entwurf gehe „von falschen Voraussetzungen aus”, werde „zur Unzeit vorgelegt”, kranke „an erheblichen, nicht nur empirischen Mängeln” und lasse zudem grundlegende verfassungs- und europarechtliche Fragestellungen unbeachtet. Die geplanten Videoaufnahmen würden keine weiteren Erkenntnisse gegenüber Tonaufnahmen bringen. Und die vorgesehene zusätzliche Transkription der Tonaufzeichnung mittels Software sei weder technisch hinreichend umsetzbar, noch löse sie das Problem von Meinungsverschiedenheiten über das Geschehene, sind die Staatsanwälte überzeugt.
Auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, äußerte sich inzwischen ablehnend: Der Entwurf werfe „gravierende rechtliche und praktische Probleme” auf, für die er keine überzeugenden Lösungen finde, erläuterte er gegenüber der Presse. Würden die Pläne so umgesetzt, käme ein gewaltiger Mehraufwand auf die Gerichte zu.
Diese vehemente Kritik am Entwurf hat wiederum die Vertreter der Anwaltschaft auf den Plan gerufen. Dass die Generalstaatsanwaltschaften suggerierten, der Referentenentwurf sei vonseiten der Praxis abgelehnt worden, sei nicht nur schlicht falsch – ihre Kritik sei auch inhaltlich „nicht nachvollziehbar”, verlautete der Deutsche Anwaltverein Ende Januar in einer Pressemitteilung. Tatsächlich habe sich eine vom BMJ in der vergangenen Legislaturperiode eingesetzte Expertenkommission, an der auch zahlreiche Richter und Staatsanwälte mitgewirkt hätten, mit den „teils irrationalen Bedenken” auseinandergesetzt, die insb. vonseiten der Justizverwaltungen – tatsächlich aus Kostengründen – gegen die Dokumentation vorgebracht worden seien, und diese für nicht tragfähig befunden. Die audiovisuelle Aufnahme der Hauptverhandlung sei überfällig, so der DAV weiter. Denn zurzeit sei die Dokumentation des Strafprozesses in Deutschland ein „Armutszeugnis”. Dass das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung handschriftlich Notizen anfertigten, um sich später an den Verfahrensablauf zu erinnern, wirke nicht nur für juristische Laien vollkommen aus der Zeit gefallen. Derzeit gebe es keine objektive, allen Beteiligten zugängliche Protokollierung des Inhalts der Beweisaufnahme.
Ähnlich sieht es auch die Bundesrechtsanwaltskammer, wenn auch in etwas differenzierterer Form. Die derzeit defizitäre technische Ausstattung der Gerichte werde die vermehrte Nutzung von Videokonferenzen erschweren und verzögern, befürchtet die Kammer. Zudem hat sie – trotz grundsätzlicher Zustimmung – eine Reihe von Einwänden gegen den Gesetzentwurf. Dass das Gericht eine Videoverhandlung künftig nicht mehr nur gestatten, sondern sogar gegen den Willen der Parteien anordnen können soll (§ 128a Abs. 2 ZPO-Entwurf), lehnt die BRAK mit Blick auf die Dispositionsmaxime ab. Gleiches gelte für die Anordnung einer Videobeweisaufnahme von Amts wegen; hier verweist sie auf die überragende Bedeutung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes – Beweisaufnahmen mit Zeugen-, Sachverständigen- und/oder Parteianhörungen sollten in Präsenz stattfinden, wenn nicht alle Beteiligten ihre Zustimmung erteilt hätten.
[Quellen: DAV/BRAK]