Für jede Anwaltskanzlei stellt sich die Frage, ob mit der Einführung einer flächendeckenden elektronischen Kommunikation von und zu den Gerichten nicht auch die Einführung einer elektronischen Akte in der Kanzlei der sachgerechte oder gar notwendige nächste Schritt ist.
1. Elektronische Akte in der Justiz
Auch aus Sicht der Justiz ist die logische Fortführung der elektronischen Kommunikation die Einführung einer elektronischen Akte bei den Gerichten, an deren technischer Entwicklung unterschiedliche Verbünde der Bundesländer bereits arbeiten. Da allerdings die Justizorganisation Sache der Bundesländer ist, hat sich als Folge dieser föderalen Struktur auch ein bunter Strauß verschiedener IT-Fach-Systeme in den einzelnen Bundesländern und Gerichtsbarkeiten entwickelt, die bereits im praktischen Einsatz sind. Es verwundert an dieser Stell nicht, dass man sich schon aus Rücksicht auf diese bereits vorhandene Struktur auch nicht auf ein bundeseinheitliches Programm zur Führung der elektronischen Gerichtsakte nicht verständigen konnte.
Drei Systeme treten derzeit miteinander in Konkurrenz:
- das in Nordrhein-Westfalen federführend entwickelte Programm der ergonomischen elektronischen Akte (e2A, Entwicklungsverbund NRW, Hessen, Niedersachsen, Saarland, Bremen, Sachsen-Anhalt) und
- das im Forum-Star Verbund unter Federführung von Bayern entwickelte eIntegrationsportal (eIP).
- Zudem wird in Baden-Württemberg – obwohl Mitglied des Forum-Star-Verbundes – eine eigenständige Lösung entwickelt.
Im Jahr 2015 werden in allen der vorgenannten Entwicklungsverbünden Pilotverfahren beginnen, um im praktischen Einsatz die Funktionalitäten der Programme zu erproben und auch die erforderlichen arbeitsorganisatorischen Umstellungen aufgrund praktischer Erfahrungen festlegen zu können.
2. Elektronische Akte in der öffentlichen Verwaltung
Auch die "offizielle Kommunikation" mit Unternehmen wie z.B. Versicherungen läuft inzwischen weitgehend elektronisch ab. Die Behörden arbeiten intensiv an der Einführung des sog. e-Government, also der elektronischen Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung. Innerhalb der Organisationen werden vielfach heute schon keine Papier-Ordner mehr geführt, sondern mehr und mehr elektronische Aktensysteme eingesetzt. Nach § 6 S. 1 des für die Behörden des Bundes geltenden Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government-Gesetz – EGovG vom 25.7.2013 [BGBl. I, S. 2749]) sollen die Behörden ihre Akten elektronisch führen. Die bereits vorhandenen oder noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen e-Government-Gesetze der Länder enthalten ebenfalls entsprechende Regelungen.
3. Inhalt einer elektronischen Akte
Wir sind seit Hunderten von Jahren an die Arbeit mit Papierdokumenten gewöhnt. Wir wissen intuitiv, wie man Papierakten liest und darin arbeitet, ohne dass uns das jemals richtig erklärt worden ist. Das "macht man einfach so".
Wird über die Entwicklung und Einführung einer elektronischen Akte diskutiert, stellt sich sehr schnell heraus, dass hier noch keine einheitlichen Vorstellungen bestehen. Der genaue Inhalt einer Akte – auch wenn sie in Papierform geführt wird – ist keinesfalls vollständig und einheitlich definiert, sondern wird weitgehend von langjähriger Übung und Gewohnheiten geprägt.
Zwar gibt es theoretisch-dogmatische Grundsätze über die Führung einer Akte: Genannt werden die Rechtsprinzipien der Aktenklarheit und der Aktenwahrheit. Das bedeutet – vereinfachend dargestellt –, dass alle entscheidungserheblichen Schritte in der Akte nachvollziehbar festgehalten sein müssen. In der vielfältigen Praxis bestehen aber hier erhebliche Umstände in der tatsächlichen Handhabung. Wer als Anwalt oder Anwältin Akten zur Einsicht von verschiedenen Gerichten erhält, kann dies sicher bestätigen, obwohl für alle Gerichte die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen gelten. Dies erstreckt sich von der inneren Ordnung der Akte (Foliierung = Notieren von Seitenzahlen), auf die äußere Ordnung (Führung von Beiheften oder Sonderheften) bis hin zum Zusammenhalt durch Heftung, Büroklammern oder gar den "Badischen Aktenknoten"). Bereits die Papierakte wird also schon weitgehend von Gewohnheiten geprägt, von denen man sich nur sehr wiederwillig trennen möchte, auch wenn der sachliche Grund für eine bestimmte Behandlungsweise längst in Vergessenheit geraten ist.
Versucht man eine elektronische Lösung, muss Vieles – zumindest für die technisch-organisatorische Umsetzung – genauer geregelt bzw. definiert werden, was man bislang einfach "immer so gemacht" hat.
Eine Aktenführung in elektronischer Form bietet daher eine bunte Mischung von rechtlichen, technischen und organisatorischen Aspekten:
- Was ist eigentlich "die Akte"?
- Was gehört hinein, was muss darin blieben und was daraus entfernt werden?
- Welche Teile stehen zur Akteneinsicht zur Verfügung, welche gehören nur zur internen Bearbeitungsebene des Gerichts?
- Wie muss ggf. eine Akteneinsicht technisch-organisatorisch bewerkstelligt werden?
- Wie kann eine gerichtliche Akte an eine andere Stelle abgegeben werden, z.B. an das Rechtsmittelgericht, an einen Sachverständigen, bei einer Verweisung an ein...