Das OLG Hamm hat in seinem Beschluss vom 11.10.2018 (3 RVs 32/18, VRR 1/2019, 17) noch einmal zur Frage der Besorgnis der Befangenheit aufgrund von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen des Vorsitzenden mit dem Verteidiger Stellung genommen. Das AG hatte den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen das Urteil des AG gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG verworfen. Die dagegen gerichtete Revision hatte mit einer auf eine Verletzung der §§ 338 Nr. 3, 24 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.
Nach Auffassung des OLG war die vom Angeklagten gehegte Besorgnis der Befangenheit berechtigt. Denn die Vorsitzende der Berufungskammer hatte – so das OLG – aufgrund von Erklärungen vor der Hauptverhandlung gegenüber dem Angeklagten den Eindruck erweckt, sie habe sich in der Sache schon festgelegt. Zwar sei es einem Richter nicht verwehrt, zwecks Förderung des Verfahrens mit Prozessbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Fühlung aufzunehmen und eine bestimmte Prozesshandlung, u.U. auch die Rücknahme eines Rechtsmittels, anzuregen. Dabei habe er aber stets die gebotene Zurückhaltung zu wahren (BGH NStZ 1985, 36, 37; NStZ-RR 2012, 211, 212). Der Rat des Vorsitzenden einer Berufungskammer zur Zurücknahme eines Rechtsmittels wegen geringer Erfolgsaussichten müsse daher in vorsichtiger Form erteilt werden (KG, Beschl. v. 30.4.1987 — [4] 1 Ss 106/87 [51/87]). Die Besorgnis der Befangenheit könne begründet sein, wenn der Vorsitzende dabei zum Ausdruck bringt oder auf andere Weise den Eindruck erweckt, bereits festgelegt zu sein, etwa einen nach Form und Inhalt unangemessenen Einschüchterungsversuch oder eine unzulässige Willensbeeinflussung unternehme, so dass ein besonnener Angeklagter die Befürchtung hegen muss, das Gericht werde sich nur unwillig und voreingenommen mit dem Rechtsmittel befassen (OLG Hamm StraFo 1998, 18; OLG Nürnberg StraFo 2018, 71; OLG Stuttgart StV 2007, 232).
Die gebotene Zurückhaltung habe die Vorsitzende der Berufungskammer vermissen lassen. Aufgrund der Inhalte der mit dem Verteidiger geführten zwei Telefonate, über die der Angeklagte vom Verteidiger informiert wurde, habe bei dem Angeklagten unter Gesamtwürdigung aller Umstände die Besorgnis entstehen können, die Vorsitzende wolle ihn zu einer Rücknahme der Berufung drängen. Dabei hält es das OLG für zulässig, dass die Vorsitzende den Verteidiger unmittelbar nach Eingang der Akte und vor Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins angerufen hatte, um ein Gespräch über die Erfolgsaussichten der Berufung zu führen und in diesem Zusammenhang ggf. auch den Ratschlag zu erteilen, die Berufung wegen geringer Erfolgsaussichten zurückzunehmen. Allerdings tätigte die Vorsitzende bereits in dem ersten Telefonat Äußerungen, die, in das Gewand von Warnungen, Belehrungen oder Hinweisen gekleidet, als Versuch aufgefasst werden konnten, die Willensfreiheit des Angeklagten im Hinblick auf die Durchführung des Rechtsmittels zu beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für die Ankündigung, im Fall einer Verurteilung im Urteil zu erwähnen, dass die Kammer (nur) durch das Verschlechterungsverbot gehindert sei, eine Sperrfrist zu verhängen, und dieses Urteil möglicherweise von der Straßenverkehrsbehörde gelesen werden würde. Diese Mitteilung weist keinen unmittelbaren Bezug zu den Erfolgsaussichten der Berufung auf. Sie konnte von dem Angeklagten nur so verstanden werden, dass er im Rahmen seiner Bemühungen um Wiedererlangung einer Fahrerlaubnis im Fall einer Verurteilung über die Tatsache der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils hinaus mit weiteren Nachteilen zu rechnen habe, die er vermeiden könne, indem er die Berufung zurücknehme. Gleiches gilt für die Ankündigung, im Fall einer Verurteilung möglicherweise die Bewährungszeit zu erhöhen oder Bewährungsauflagen zu verändern. Anhaltspunkte dafür, aus welchen maßgeblichen Erwägungen heraus die Vorsitzende bei vorläufiger Überprüfung davon ausging, die vom AG festgesetzte Bewährungszeit von drei Jahren könne nicht ausreichen, seien nicht ersichtlich.
Entscheidend für den Erfolg der Befangenheitsrüge war aber letztlich, dass das OLG keinen Zusammenhang zwischen dem Inhalt eines weiteren Telefonats und einer sachlichen Förderung des Verfahrens gesehen hat. Die dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin verhalte sich nicht zu den Gründen für ein erneutes Telefonat mit dem Verteidiger; ein aktueller Anlass für eine Kontaktaufnahme – etwa die Absprache eines Termins – habe nicht bestanden. Der Inhalt des geführten Telefonats lege nahe, dass die Vorsitzende die durch die ergänzenden Ermittlungen geänderte Sach- und Rechtslage erörtern und ihren Rat zur Rücknahme des Rechtsmittels wiederholen wollte. Es könne dahinstehen, ob dies zulässig war, obwohl der Verteidiger bereits in dem ersten Telefonat erklärt hatte, dass der Angeklagte die ihm angelastete Tat bestre...