1. Einleitung
Das neu eingeführte Ehegattenvertretungsrecht in § 1358 BGB war und ist hoch umstritten und wurde nach der hier wahrgenommenen Resonanz von juristischer Seite aus fast komplett abgelehnt. Es scheint aber ein zentrales und unabdingbares politisches Projekt gewesen zu sein, sodass es (leider) daran kein Vorbeikommen gab (vgl. dazu Kurze, Reform, § 10; Koller/Stahl, GesR [GesundheitsRecht] 2021, 212; Kraemer, BtPRax 2021, 208; Lugani, MedR 2022, 91; Spickhoff, FamRZ 2022, 1897; Jurgeleit, NJW 2023, 1).
Die Kritik am Ehegattenvertretungsrecht war und ist vielfältig: So wird der bisher falschen rechtlichen Vorstellung, dass Ehegatten sich gegenseitig rechtlich vertreten können und damit der Motivation, sinnvoller Weise Vorsorgevollmachten zu richten, jedenfalls argumentativ zum Teil der Boden entzogen. Zumindest einige Menschen werden so dazu verleitet werden, von Vorsorgeregelung abzusehen und sich aufgrund des begrenzten Vertretungsrechts in falscher Sicherheit wiegen. Zudem wird dem Rechtsinstitut der Ehe auch für schon bestehende Verbindungen nachträglich ein neuer Inhalt gegeben, der ggf. aktives Gegenwirken erfordert, was als äußerst problematisch angesehen werden kann. Schließlich wurde ein System geschaffen, welches zum Teil kompliziert ist, insgesamt aber ohne irgendeine Kontrolle durch nichtbeteiligte, neutrale Personen auskommt und insofern Missbrauch ermöglicht.
Zuzugeben ist, dass mit der Regelung einem weitgehend vorhandenen Rechtsempfinden in der Bevölkerung entsprochen wird. Viele Menschen nehmen an, dass sie ihren Ehegatten zumindest in Gesundheitsangelegenheiten vertreten können und dürfen. Dem wird durch die neue Regelung zum Teil entsprochen. Zudem können rechtliche Betreuungen verhindert werden und damit ein gewisser Aufwand bei Ärzten, Angehörigen und Betreuungsgerichten, der sowohl eine zeitliche und wirtschaftliche, aber auch eine persönliche Belastung darstellen kann.
2. Kein Notvertretungsrecht
Abzulehnen ist die Einordnung als „Notvertretungsrecht”, da das Ehegattenvertretungsrecht bis zu sechs Monate lang ausgeübt werden kann. Allein aufgrund dieser Zeitspanne handelt es sich nicht um ein Notvertretungsrecht, sondern um ein umfassendes, wenn auch zeitlich begrenztes, Vertretungsrecht nicht nur für die Notsituation, sondern darüber hinaus.
3. Der Standardfall
Als Standardfall hatte der Gesetzgeber anscheinend folgende Konstellation vor Augen: Ein Ehegatte wird im bewusstlosen Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert. Es besteht keine rechtliche Betreuung und keine ausreichende Vorsorgevollmacht. Der vertrauenswürdige Ehegatte ist aber zur Stelle und könnte für den bewusstlosen Ehegatten in dessen Sinne die notwendige Erklärung abgeben.
Nach Rechtslage bis zum 31.12.2022 musste dafür eine Betreuung eingerichtet werden, ggf. im Eilverfahren, mit den entsprechenden Verfahrensschritten und Einschaltung des Betreuungsgerichts. Im Ergebnis wird in weitgehend allen Fällen auch der Ehegatte als Betreuer eingesetzt worden sein. Bis dahin wird Zeit vergangen sein und es kommt zu einer seelischen Belastung. Dieses zeitaufwändige Verfahren wird nun entfallen, indem der Ehegatte direkt tätig werden kann und den bewusstlosen Ehegatten vertritt.
Nach hiesiger Einschätzung kann dies in einer großen Zahl von Fällen durchaus funktionieren, ohne dass es im Vergleich zur früheren Handhabung einen Qualitätsverlust geben dürfte. Wie groß der Anteil sein wird, in denen die neue Rechtslage zu einer Verschlechterung führt, da sie zulasten der Selbstbestimmung des betroffenen Ehegatten geht oder sogar ein Missbrauch stattfindet, ist kaum zu prognostizieren. Sie wird aber auch schwer festzustellen sein. Eine Erfassung der Fälle der Ehegattenvertretung findet nach hiesiger Kenntnis nicht statt und externe Überprüfungen werden selten sein.
4. Materielle Voraussetzungen
Der vertretene Ehegatte darf seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen können, wie es auch sonst für eine Betreuung der Fall sein muss. Dies bezieht sich auf gesundheitliche Fragen. Zudem darf kein Ausschlussgrund für die Vertretung vorliegen. Kann der Ehegatte sich wieder äußern, endet die Vertretungsmacht. Das gilt entsprechend, wenn ein Ausschlussgrund entsteht, also beispielsweise doch noch eine Vorsorgevollmacht entdeckt oder eine Betreuung eingerichtet wird.
Damit stellen sich die Voraussetzungen wie folgt dar:
- (weiter) bestehende Unfähigkeit bei einem Ehegatten zur Besorgung der Angelegenheiten aufgrund von Krankheit oder Bewusstlosigkeit
- kein Getrenntleben der Ehegatten
- keine bekannte Ablehnung durch den vertretenden Ehegatten
- keine ausreichende Betreuung
- keine ausreichende Vorsorgebevollmächtigung
- nicht über sechs Monate seit der Unfähigkeit vergangen sowie
- keine Dauer von freiheitsentziehenden Maßnahmen von mehr als sechs Wochen.
5. Verfahren
Dem Ehegatten wird als Bestätigung des Vorliegens der Voraussetzung für die Vertretungsmacht zur Legitimation gegenüber Dritten, wie anderen Ärzten, und zur Feststellung des Beginns für die Sechs-Monatsfrist-Berechnung wird für den vertretenen Ehegatten vom Arzt ein Dokument ausgestellt. Ein Gerich...