Die Bild-Zeitung sprach von einer "unglaublichen Posse um die Knöllchen des Abzockerblitzers". Auch andere Medien gingen wie selbstverständlich davon aus, dass eine staatliche Ausgleichspflicht besteht. In der Folgezeit haben Behörden und Politik ein merkwürdiges Verständnis von der Rollenverteilung im Rechtsstaat an den Tag gelegt.
Was war geschehen? Zwischen Februar und Dezember 2016 waren auf dem Kölner Autobahnring im Bereich des Heumarer Dreiecks 453.597 Autofahrer fälschlicherweise wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geblitzt worden. Dabei war die Messanlage auf eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h eingestellt, tatsächlich waren laut der Beschilderung aber 80 km/h erlaubt. Die Stadt Köln soll aus diesem Fehler mehr als 11 Mio. Euro eingenommen haben. Die fehlerhafte Beschilderung wurde erst durch eine Entscheidung des Amtsgerichts Köln bekannt. Im Februar 2017 kam es dann zu dem eingangs geschilderten Medienhype, dessen Kernbotschaft darauf hinauslief, dass hier selbstverständlich die entsprechenden Gelder an die Betroffenen zurückerstattet werden, ja, diese sogar entschädigt werden müssten.
Bei nüchterner Betrachtung der Rechtslage ist das kaum nachzuvollziehen. Auch wenn es sich um einen erheblichen Fehler handelte, führt dies nicht zur Nichtigkeit der entsprechenden behördlichen Bescheide. Soweit die vermeintlichen Verstöße mit Verwarnungsgeldern geahndet wurden, ist nach Zahlung des Verwarnungsgeldes eine Anfechtung jedenfalls in diesen Fällen nicht mehr möglich. Auch die Regelung bei bestandskräftigen Bußgeldbescheiden ist eindeutig: Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 85 OWiG ist nur möglich, wenn eine Geldbuße von mehr als 250 EUR festgesetzt worden ist oder ein Fahrverbot angeordnet wurde. Außerhalb dessen kommt allenfalls ein Erlass im Gnadenwege in Betracht. Eine formlose oder in der Politikersprache gerne als "unbürokratisch" bezeichnete Rückzahlung der Gelder sieht das Gesetz nicht vor und läuft Gefahr, als strafbare Untreue gem. § 266 StGB beurteilt zu werden. Entschädigungsansprüchen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 110 OWiG) dürfte – soweit nicht eine Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgt – schon die Bestandskraft der einschlägigen Bescheide entgegenstehen. Es bliebe nur der Gnadenweg.
Gleichwohl sind von politischer Seite halbherzige, aber öffentlichkeitswirksam betriebene Versuche gestartet worden, eben jenen Ausgleich zu bewirken. Mitte Februar hat die Stadt Köln daher – abgesegnet durch den Rat der Stadt – ein "freiwilliges Ausgleichsprogramm" zur Rückzahlung an die Betroffenen auf entsprechenden Antrag auf ihrer Homepage freigeschaltet. Im Rahmen des freiwilligen Ausgleichsprogramms sollen Verwarnungs- und Bußgelder bis 250 EUR, die wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erhoben worden sind, ausgeglichen werden können. Die Löschung eines Punkteeintrags im Fahrerlaubnisregister bzw. die Aufhebung eines Fahrverbotes sind von der Maßnahme nicht erfasst; ein solches "Ausgleichsprogramm" kann hierauf keinerlei Auswirkung haben. Das hat auch die Stadt Köln – mit Verweis auf § 85 OWiG – erkannt.
Auf den praktisch tätigen Juristen wirkt eine solche Vorgehensweise befremdlich. Um nicht missverstanden zu werden: Der ursprüngliche Fehler lag bei der Stadt Köln. Auch ist es nachvollziehbar, dass die Betroffenen eine Rückabwicklung wünschen. Nur: Der Rechtsstaat gibt durch seine Gesetze für diese Fälle eine klare Aufgabenverteilung vor. Staatliches Handeln hat grundsätzlich rechtsfehlerfrei anhand der Gesetze zu erfolgen. Ist dieses Handeln hingegen rechtsfehlerhaft, ohne nichtig zu sein, so gewährt der Rechtsstaat dem Betroffenen entsprechende Rechtsbehelfe, mit denen er gegen die fehlerhafte staatliche Entscheidung vorgehen kann. Spiegelbildlich bedeutet das aber zugleich die Verpflichtung des Betroffenen, sich gegen rechtswidrige staatliche Akte durch diese Rechtsbehelfe auch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben entsprechend zur Wehr zu setzen. Tut er dies nicht, kann er bei einem bestandskräftigen bzw. rechtskräftigen staatlichen Akt später nicht mehr dessen Rechtswidrigkeit behaupten und entsprechende Ansprüche durchsetzen. Im Rahmen der Zulässigkeit muss er ggf. eine Wiederaufnahme des Verfahrens anstreben. Hinter dieser Aufgabenverteilung steht einerseits die Schutzpflicht des Rechtsstaates, durch entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten dem Bürger die Möglichkeit des Vorgehens gegen staatliches Verhalten an die Hand zu geben. Andererseits bedeutet dies zugleich eine Eigenverantwortlichkeit des Bürgers, tätig zu werden und diese Möglichkeiten auch zu nutzen.
Diese Aufgabenverteilung gilt auch für die hier in Rede stehende "Knöllchen-Affäre". Die erhebliche Quantität der Betroffenen ändert daran nichts, dass es sich qualitativ bei der fehlerhaften Beschilderung um ein staatliches Fehlverhalten handelt, das durchaus vorkommen kann, auch wenn es nicht vorkommen darf. Es ist also Sache des Betroffenen, die Justiz durch entsprechende Rechtsbehelfe ...